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Das Blutbuchenfest

Das Blutbuchenfest

Titel: Das Blutbuchenfest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Mosebach
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wieder zu verlassen, ohne sich nach ihm umzusehen.
    Ich durfte mir in meiner Schmach schmeicheln, ihr mit meinem Ausbruch Eindruck gemacht zu haben. So war es doch: ich durfte mich doch darauf verlassen, sie wirklich verletzt zu haben, in vollem Recht abscheulich roh gewesen zu sein, sie, mit Worten wenigstens, geschlagen zu haben. Hatte sie mir nicht selbst dies Recht eingeräumt? Aber jetzt war mir, als hätte ich eine Wasserpfütze mit Füßen getreten, die hoch aufspritzte – auch ihre Tränen liefen so heftig, daß dies Quellen geradezu ein Hervorspritzen war! – und danach sofort wieder die Oberfläche schließt und aufs neue Himmel und Wolken spiegelt. Gar nichts war anders an Winnie geworden, wie sie mir da über den roten Teppich des Palasthotels entgegenkam. Ich trat sofort hinter einen Pfeiler, und sie hatte mich tatsächlich nicht wahrgenommen. Ganz entspannt war ihr Blick, das ungeschminkte blasse Gesicht lächelte in abwesender Kindlichkeit, unverwundet, rein und blank.
    Woher kannte sie den hochgewachsenen Achtzigjährigen, der heute sein Jubiläum mit den Partnern der Kanzlei feierte? Der Mann liebte junge Leute um sich. Wenige Silberhaarige schritten über den roten Läufer. Strebsam-jugendliche Anwälte mit blonden Frauen, Anwältinnen in Abendkleidern, die in ihrer Strenge noch etwas von werktäglicher Professionalität verrieten, keine geputzten Weibchen eben, kamen an mir vorbei. Winnie sehr passend gekleidet, diesen herben schmucklosen Stil noch überbietend in einem schwarzen Körperstrumpf, der die Arme und die Brust vollständig bedeckte und nur vom Rücken viel sehen ließ, von dem Kinderrücken mit dem kleinen Leberfleck und dem Rückgrat, auf dem Zeige- und Mittelfinger treppensteigen konnten.
    Was vorn verdeckt war, wußte ich. Immer blieb es verdeckt. Nur wer sie nackt gesehen hatte, kannte die blaue Narbe. »Nackt«, dachte ich, und die frische Wut schoß wieder in mir hoch, wie auf Knopfdruck. Die erschreckende Naht entlang des Schnitts, an dem diese Puppe aufgeklappt worden war, die hatten viele vor mir, ein gestaltloses Heer, vor allem aber einer nach mir eben nicht bloß gesehen, sondern auch betastet, hatten sich von der träumerischen Mädchenstimme erzählen lassen, woher diese Verletzung stammte, und sie womöglich gar geküßt. Nein, das war zu furchtbar, fort mit dieser Vorstellung – aber in meine Glieder, in die letzten Verästelungen meiner Hände war der Zornes- und Erregungssaft ausgegossen und dehnte sich darin und pochte.
    Hinter ihr erkannte ich Doktor Glück, unsicher lächelnd, es sollte ein Strahlen der Bonhomie werden, aber blieb von so vielen Gesichtern unerwidert, da war es bald versandet. War er nicht überhaupt einmal Partner des Octogénaire gewesen? In welchen Welten er nebeneinander umging. Aber anders als Winnie; denn in eine solche Kanzlei gehörte er doch eigentlich hinein, und zu den Leuten, mit denen er sich bei Merzinger allabendlich bezechte, gehörte er eben nicht. Sein Leben lahmte auf einem Bein, dem feierabendlichen. Er hatte keine Heimat gefunden. Mehr als drittes Rad an dem wackligen Karren von Rotzoff und Winnie zu sein – unerträglich, sich die beiden zusammenzudenken – bekam er nicht hin. Jetzt führte er also Winnie aus, oder besser, er trat mit ihr auf, weil es an einem solchen Abend vorteilhaft war, mit einer Frau gesehen zu werden.
    Wie häßlich war es von mir, so unverschämt in seine Gedankengänge zu schlüpfen. Er war doch schließlich ein anständiger Mann. Aber daß er jetzt der neuen Ménage zu Legitimität verhalf, indem er als väterlicher Freund, Rotzoff zu Gefallen, Winnie ins Palasthotel mitnahm, das war niederträchtig. Einsam sollte sie auf Rotzoff warten müssen, der sie niemals irgendwohin mitgenommen hätte. »Niemals irgendwo mit einer Frau erscheinen«, war seine Doktrin, »es muß immer die volle erotische Disponibilität gewährleistet sein, wer mit Frau ankommt, der ist schon beinahe kastriert.«
    Oder hatte Glück ihn am Ende auch noch mitgebracht? Zuzutrauen waren ihm solche Haltlosigkeiten. Wie der Mann wohl seine Geschäfte führte? Was machte ihn so unverzichtbar in seiner Bank, in der doch gewiß gleichfalls jeder seinem schwach lächelnden Werbeblick auszuweichen trachtete? War es nur sein Japanisch? Und verstanden Japaner diese deutlich schwäbisch getönten Laute aus ihrer Sprache – wenn er japanisch telephonierte, sprach er viel schwäbischer als im Deutschen, als koste ihn die Konzentration

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