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Das Blutbuchenfest

Das Blutbuchenfest

Titel: Das Blutbuchenfest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Mosebach
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wissen ja, bei Winnie fürchtet man, mit jeder Berührung etwas kaputtzumachen.«
    Er fühlte so etwas, der ritterliche Glück in seiner Glücklosigkeit, aber an seiner statt hätte eigentlich ich das fühlen müssen, bevor ich wie ein Berserker auf sie losging. Das Schuldbewußtsein löste noch einmal einen Rest Empörung in mir aus. Hätte ich mir von der Elfengleichen denn einfach alles und alles bieten lassen müssen? Gab die Schwäche und Zartheit das Privileg, mit dem Engagement anderer Leute Schlitten zu fahren?
    »Das war nicht das eigentlich Schlimme«, sagte Doktor Glück. Der Gin Tonic in unseren Händen wurde lauwarm und schmeckte wie vergiftete Limonade, Schierlingsbecher hielten wir in Händen, während wir eine Gesprächsinsel im Meer der Anwälte bildeten. Ich wisse ja, wie Rotzoff sei. Er könne sehr ungerecht werden – das habe er selbst ihm schon gesagt, er rede nicht nur hinter seinem Rücken so. Wegen gar nichts, wegen der Fliege an der Wand könne er wild und verletzend werden. Es sei kaum zu fassen, welchen Zorn ein zartflügeliges Lebewesen wie Winnie in den Menschen wecken könne. Dazu komme bei Rotzoff noch die allgemein gestiegene Erregbarkeit – er, Glück, wolle kein Spielverderber und kein Moralisierer sein, aber könnten diese Wutausbrüche nicht auch mit der Trinkerei in Verbindung stehen?
    Er forschte in meinen Augen. Ich hätte trotz des mich bekümmernden und geradezu revoltierenden Gesprächsgegenstands beinahe laut losgelacht. Glück fand da gar nichts komisch. Er war in einen Wettkampf mit Rotzoff verstrickt, so sah das geradezu aus: Rotzoff, angetrunken alles ins Werk setzend, um seine Wohltäter von sich wegzubeißen, gemein und unerträglich zu werden und sich am nächsten Tag keineswegs dafür zu entschuldigen, und Glück in festem Willen, auf die dann tatsächlich gewährte Belohnung zu hoffen, daß die Attacke allmählich in sich zusammensank. Aber was er gern ertrug, wenn es sich gegen ihn selbst richtete, das traf ihn schmerzhaft, als es gegen Winnie ging.
    Es war jetzt sehr laut im Raum. Die Cocktails lösten den Menschen die Zunge. Ein Gedränge war entstanden, und ich mußte mein Ohr geradezu an Doktor Glücks Mund halten, um etwas zu verstehen, aber nichts brachte mich von ihm weg. Ich war bewegt und zugleich fühlte ich eine Erleichterung, von Winnie zu hören. Es wurde mir jetzt erst klar, wie ich mich in den letzten Tagen verkrampft hatte. Sie war nicht glücklich mit Rotzoff, er war es nicht mit ihr – wie wohl tat das! Im Gegenteil – er versuchte gewaltsam, sie loszuwerden.
    »Er hat gefordert, daß sie irgendwas bezahlte, und hat ihr nicht geglaubt, daß sie das nicht konnte …« Das überraschte mich nicht. Auch ich war überzeugt, daß Winnie aus reichem Haus stamme. Sie hatte die Gesten und die Haltung eines reichen Mädchens. Wie sahen die eigentlich aus? Ich hätte es nicht gewußt. Diese Geldaura lag über ihren an Einfachheit und Austerität nicht zu unterbietenden Kleidern, über ihrer unverletzlich wirkenden Reinlichkeit, ihrer luxuriösen Zartheit, ihrer durchscheinend zarten Haut. Die Adern zeigten sich bläulich wie bei parischem Marmor an Schläfen und Hals. Das pochte und schwoll sanft an. Unvorstellbar, ein solches Mädchen zu schlagen, auch nur daran zu denken – ein heuchlerischer Satz aus meinem Mund leider, denn bei meinem Ausbruch gegen sie hatte ich sehr nah an der Grenze zur körperlichen Gewalt gestanden. Zu meinem ewigen Glück hatte ich die letzte Grenze nicht überschritten. Anders offenbar Rotzoff.
    »Ich verstehe ihn nicht«, flüsterte Glück mir ins Ohr, »solche Maximen müßten bei einem Gentleman doch sitzen – never hit a woman –, und ich halte ihn für einen Gentleman, werde es immer tun und stehe dazu.«
    So sah Glücks Männertreue aus. Er feierte die Ritterlichkeit, war aber bereit, sich die Verhältnisse, wenn sie dem nicht entsprachen, in einem Überschuß an Vertrauen schönzureden. Mir wurde heiß, aber nicht von der Wärme im Raum. Jetzt erst glaubte ich Winnie wirklich zu lieben, bedingungslos, bereit, ihr in jeden Sumpf nachzusteigen. Meine Eifersucht wegen ihres Treuebruchs war verflogen. Im Gegenteil, dieser neue Liebesschub hing geradezu notwendig mit der mißratenen Rotzoff-Affaire zusammen. Das Strapazierte, bis zur Erschöpfung Getriebene, das mich in Verbindung mit ihrer Disziplin und Formsicherheit von Anfang an gefesselt hatte, das nahm nach diesem unseligen Fehltritt doch nur noch zu, es

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