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Das Blutbuchenfest

Das Blutbuchenfest

Titel: Das Blutbuchenfest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Mosebach
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Exzellenz hätten mit einem freundlichen Formschreiben den Eingang bestätigt.
    »Er hatte eine hübsche Blondine dabei«, sagte Boutros Ghali, unversehens munter werdend und im Ton anwachsend. »Hat er sie mir angeboten?«
    Das nicht gerade. Der Sekretär murmelte verlegen, aber ein Problem sei das gewiß nicht, man könne vielleicht einen Hinweis lancieren …
    »Die Deutschen«, Boutros Ghali hatte Wereschnikow nun endlich aus der russischen Kiste herausbekommen, »sie wollen Europa regieren, nehmen immer neue Anläufe und kennen die einfachsten Regeln nicht.«
    »Doktor Wereschnikow kennt durchaus einige Regeln«, der Sekretär war jetzt viel weniger unterwürfig, geradezu zurechtweisend, »zum Beispiel den Kernsatz der englischen Diplomatie: »To be in with the out – sonst würde er schließlich gar nicht mehr anrufen.«
    Fett und Zartheit, ja Zerbrechlichkeit, wie sprödes Holz aus dem Wüstensand feinsplittrig zerbricht, schloß sich bei Boutros Ghali nicht aus. Die Wahrheit, die ihm sein Sekretär soeben zugemutet hatte, mochte ihn kränken, zurück wies er sie nicht. Er gehörte nicht zu den Leuten, die aufhören zu denken, wenn sie beleidigt werden.
    »Was wollen die Leute mit dem Balkan«, murmelte er zikadenleise, ein insektenhaftes Sägen lag in seiner Stimme, als rieben sich dünne Hölzchen in seinem Innern. Die Welt habe andere Sorgen. Da spreche man von der Überbevölkerung, in Ägypten ein besonders anschauliches Phänomen, von den sieben Milliarden, die sich auf den wenigen bewohnbaren Quadratkilometern des Erdballs drängelten. Aber es seien in Wahrheit doch gar keine sieben Milliarden! Betrachte man die Leistung der modernen Maschinen, die Produktivität der modernen Industrie, dann müsse man verstehen, daß sie der Arbeitskraft von zweiundzwanzig Milliarden Sklaven entspreche – diese zweiundzwanzig müßten den sieben Milliarden durchbluteten Lebewesen aber hinzugezählt werden: De facto beherberge die Erde gegenwärtig neunundzwanzig Milliarden! Er sprach so pedantisch und sachlich, als lege er einem Pharao Listen der zum Bau der Pyramiden verpflichteten Arbeitskräfte vor. Neunundzwanzig Milliarden, wiederholte er in strafendem Ton. Das Mißverhältnis zwischen der Aufmerksamkeit, die von den kleinen Balkanvölkern absorbiert werde, und den übergroßen Zahlen der irdischen Realität mußte nicht mehr eigens ausgesprochen werden.
    »Was will er denn, der Mann mit dem russischen Namen, den ich mir nie merken kann? Was will er mit dem Balkan? Wenn die Türken den Balkan nicht haben, dann bekommen ihn die Russen oder die Deutschen, das weiß jeder, der einmal die Landkarte gesehen hat – was meint dieser Mann mit der hübschen Blondine dazu?«
    Gar nichts, versicherte der Sekretär. Doktor Wereschnikow halte sich aus solchen Fragen heraus – er plane einen Kongreß, eine internationale Tagung, etwas Vermittelndes, nach großen Lösungen suchend –
    »Er will meine Schirmherrschaft«, hier unterbrach Boutros Ghali die lästigen Darlegungen. Der Sekretär war offenbar dafür gewonnen worden, seinem Herrn Wereschnikows Exposé vorzutragen. Es war ganz nah davor, daß dieser mit unendlichen Mühen abgefaßte Text vor die allerhöchsten Ohren gelangt wäre, nicht unmittelbar zur Weltregierung, aber doch in deren Bannkreis, wer wußte schließlich, welche Drähte auch ein abgetretener Generalsekretär noch ziehen konnte. Es stimmte eben, was Wereschnikow andeutungsweise fallenließ. Er stand wirklich mit den Großen der Erde in Verbindung, wie man mit solchen Mächten eben in Verbindung stehen kann – über die Türwächter, die Leibgarden, die geheimen Günstlinge. Alles war eine Frage des Zugangs zur Macht. Die Macht an sich war lenkbar, in ihrer Isolation von der Alltagswelt in hohem Maße Einflüsterungen gegenüber anfällig.
    Ich sah hier in meinem Traum, wurde Augen- und Ohrenzeuge, wie sich ein Sekretär in die Gedanken eines solchen Großmächtigen – eines einst und vor kurzem jedenfalls noch Großmächtigen – hineinwinden konnte, gerade ein solcher Mann brauchte Gesprächspartner, auch er mußte dann doch irgendwann einmal zuhören – und diese Sekunde der Schwäche galt es auszunützen. Da wußte Wereschnikow den Schuh in den Türspalt zu schieben, und dann war er schon so gut wie drin in der Pyramide, im Königsgrab, wo die Geheimnisse der Machtausübung einbalsamiert und für die ferne Zukunft aufbewahrt wurden. Es fehlte nicht viel, und Boutros Ghali hätte das

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