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Das Blutbuchenfest

Das Blutbuchenfest

Titel: Das Blutbuchenfest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Mosebach
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verschlossenen, alles registrierenden, nichts preisgebenden Miene. Auch sonst war meine Traumregie höchst kenntnisreich. Sogar die Möbel, die das Schlafzimmer des mächtigen Mannes anfüllten, waren richtig ausgesucht: Monströs-phantastisches Rokoko, das Prunkbedürfnis des bayrischen Ludwig in den Schatten stellend, die Normaleinrichtung wohlhabender ägyptischer Bourgeoisie, Überwindung des Kolonialismus durch Übertrumpfung, und das schwere Baccara-Kristall-Whisky-Glas, das die zarte Greisenhand aus dem Grab im Wüstensand kaum umspannte, war gewiß auch nicht ohne innere Wahrheit im Bild.
    Boutros Ghali war schlecht gelaunt. Seine braunen Lederfalten knautschten sich um Mund und Nase, als enthalte der Baccara-Becher etwas Bitteres. Das von edelstem Fett gefüllte Doppelkinn bebte.
    Eine unsichtbare Stimme, von einfühlsamer Servilität, wohltönend wie die eines Nachrichtensprechers, ein Sekretär, ein Assistent? trug die Telephonliste vor. Neben dem Whisky-Glas stand ein schweres, weißes Bakelit-Telephon, auf dessen Hörer die feine Schreiberhand noch zierlicher wirken würde.
    »Exzellenz, Präsident Giscard d’Estaing, Mr. Kissinger und Doktor Wereschnikow haben angerufen und warten dringend auf Rückruf. Es geht um den Balkan …«
    »Dummes Zeug«, fuhr Boutros Ghali ihm ins Wort, »etwas Dümmeres als den Balkan hat wohl niemand mehr zu besprechen. Es rufen nur noch Ci-Devants an, fällt Ihnen das auf? Nur noch Ehemalige, nur noch Mumien, die sich mit hoffnungslosen Projekten wichtig machen, anstatt mich in Ruhe zu lassen … was habe ich mit dem Balkan zu tun …«
    Der Sekretär war etwas betreten, blieb aber dringlich: »Was darf ich dem Präsidenten Giscard d’Estaing, Herrn Doktor Kissinger und Doktor Wereschnikow ausrichten? Allein Doktor Wereschnikow hat schon dreimal angerufen.«
    Boutros Ghali fuhr auf: »Aber wer ist denn überhaupt Doktor Wereschnikow? Hat er etwas mit Gorbatschow zu tun? Ich kenne den Mann doch gar nicht! Sagen Sie ihm, Gorbatschow soll selbst anrufen …«
    Nein, nein! Geduldig, auch ein wenig belehrend, der Sekretär, Doktor Wereschnikow habe nichts mit Generalsekretär Gorbatschow zu tun, sogar nicht im mindesten, es gehe vielmehr um den Balkan.
    »Es war ein furchtbarer Fehler, den Türken jemals den Balkan wegzunehmen«, sagte Boutros Ghali, der sich aus seiner üblen Laune jetzt zu staatsmännischem Weitblick aufschwang, dabei aber immer kleiner wurde. Er hätte jetzt wieder in den Glaskasten im ägyptischen Museum gepaßt. Auf seinem ausladenden Goldthron hingegen saß der Ehrengreis wie ein fünfjähriger Knabe, der mit den Beinen den Boden nicht erreicht. »Es ist doch einfach eine historische Doktrin: Ein nicht-türkisches Volk, das einmal von Türken regiert worden ist, kommt niemals mehr auf eigene Beine, ruiniert von den Paschas, ohne Paschas noch ruinierter …«
    Ich wartete darauf, daß er auf den Fürsten Metternich zu sprechen kommen würde. Konnte Boutros Ghali nicht Kissingers Buch über den Wiener Kongreß gelesen haben?
    »Metternich«, sagte der ägyptische Schreiber mit der hohen, singenden Greisenstimme, die man einem Klangkörper aus jahrtausendlang abgelagertem Holz wohl zutraute. »Metternich war stets ein strikter Gegner einer Auflösung des Osmanischen Reiches. ›Die Türken sind gute, loyale Verbündete‹, so schreibt er, ›man weiß bei den Türken, woran man ist‹ – und das heißt, man weiß eben nicht, woran man mit den Nachfolgestaaten wäre – oder man weiß es inzwischen nur allzu gut: Sie ziehen die Welt in den Untergang.«
    Manches von dem, was er sagte, erkannte ich wieder. Ich hatte ähnliches ausgesprochen, vom Wein angeregt, vielleicht nicht so scharf wie Seine Exzellenz, die freilich über höhere und gründlichere Einblicke verfügte als ich, aber es war mir, daran erinnere ich mich gut, eine Freude, mich im Traum bestätigt zu hören. Der Sekretär schwieg respektvoll, lauschte aber offenbar nur zerstreut, denn die Herrschaften, die ihm im Nacken saßen, drängten: »Was sage ich Präsident Giscard d’Estaing, Mister Kissinger und Doktor Wereschnikow?«
    »Ich weiß wirklich nicht, wer Wereschnikow sein soll, wenn er nicht zur Gorbatschow-Entourage gehört …«
    Der Assistent half der Erinnerung auf: Wereschnikow sei auf einer UN -Konferenz über das Konzept der Menschenwürde in den Kulturen Asiens aufgetreten. Er sei damals auch bei einem Mittagessen dabeigewesen, habe seinen Vortrag mit Widmung geschickt,

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