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Das Blutbuchenfest

Das Blutbuchenfest

Titel: Das Blutbuchenfest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Mosebach
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wird sich fügen« sagte. Man wüßte gern, wie viele Kriege, Staatsgründungen, Revolutionen, Währungsvereinigungen und andere politische Großunternehmungen auf ähnliche Weise zustande gekommen sind wie dieses Fest und auf ähnlich geniale Urheberschaft zurückblicken.

Dreiunddreißigstes Kapitel
    Rotzoffs Fest
    Und dann ging es los. Frau Markies stieg die Eichenholztreppe hinauf. Ihre entschiedenen Schritte nahmen durch den Hall etwas Stampfendes an. Sie war von einem usbekisch-japanischen Seidenmantel umweht, Herrn Doktor Glück, den sie im Frankfurter Hof abgeholt hatte, waren weiße Flanellhosen und ein dunkelblauer Blazer verordnet worden, als sei er auf dem nahen Main mit einem Ruderboot angelandet. Staunend ging er durch seine Zimmer, die durch die Leere etwas Saalhaftes angenommen hatten und nicht verrieten, daß hier ein Mensch gelegentlich schlief und sich Kaffee und Spiegeleier machte. Mein Gott, die Napoleonica-Sammlung, sie machte etwas her. Man mußte eben Leute einladen, um zu entdekken, was man besaß. Aber das waren nur Minuten des Atemholens.
    Denn jetzt drängte es heran. Die unbestimmte Ausdrucksweise ist unvermeidlich, denn der Strom, der sich unversehens gebildet hatte, bestand aus so viel unbekannten Gesichtern, daß er nicht so schnell zu zergliedern und in seine Elemente zu zerlegen wäre. Da sah man Wereschnikows schönes melancholisches Haupt; er war wie angekündigt in Tweed erschienen, dort einzelne Herren von Merzingers Ecktisch, Maruscha in sandfarbener Seide, mit einem Lächeln, das, anders als bei ihr gewohnt, etwas Verschlossenes hatte. Ein sehr schönes, geradezu bedrückend schönes großes Mädchen in einem Kleid, das ihr wie von einem drogensüchtigen Afrikaner auf den Leib gemalt war, kam allein – ja wirklich, das war Rotzoffs Freundin, die schlecht behandelte, die sich für ihre Schönheit stets glaubte entschuldigen zu müssen. Im Nu waren die Räume berstend voll, vom roten Teppich im Garten war bald kein Fleck mehr zu sehen. Merzinger hatte in seiner Gastronomen-Weisheit für den Fall, daß die übergroße Zahl der Eintreffenden die Organisation an ihre Grenzen führen sollte, darauf gesetzt, den Leuten frühzeitig eine hohe Alkoholdosis zu verabreichen. Auf den Tabletts standen nur wenige Champagnergläser, aber viele starke Gin Tonics und Martinis, und im Gedränge griffen die Gäste auch ohne Zaudern zu, froh, überhaupt an ein Glas zu kommen, und das Anschwellen des Stimmengewirrs verriet, daß der Festesmechanismus in Gang geraten war. Jenes Getöse war entstanden, in dem aus Einzelwesen das vielköpfige Ungeheuer einer sich selbst noch nicht bewußt gewordenen Festgesellschaft wird. Rotzoff war beim Verkaufen wahllos vorgegangen, wie man sich erinnert. Er hatte, besser gesagt, sich vor allem von der Priorität leiten lassen, Schuldenlöcher zu stopfen. Nun kam noch die Markiessche Kundenkartei hinzu. Wenn man die Ingredienzen dieses großen Gästeteigs gemischt nennt, sagt man das mindeste. Smartes Geschäfts- und Anwaltsmilieu, höchst unkünstlerische Bohème, auch allerlei intellektuelle Biederkeit, klassenlos hübsche Mädchen, schicke Spießerinnen, ironisch um sich schauende Gesellschaftslöwen und teuer hergerichtete Mittelstandsdamen – Frau Breegen durfte nebenbei nicht erscheinen, Herr Breegen hatte die Markiessche Einladung allein angenommen –, dies alles fand in immer drückenderer Schwüle zusammen und verschmolz, wie man angesichts der auf mancher Schläfe sichtbar werdenden Schweißtropfen wohl sagen darf.
    Ivana war ihrer Natur nach zur untätigen Aufpasserin und Kontrolleurin nicht geschaffen. Sie war da, um zu arbeiten, und arbeiten hieß sich bewegen, und so ergriff sie denn zwei Champagnerflaschen, quetschte sich in der Menge voran, bis sie leer waren, und kämpfte sich in die Küche zurück, um die nächsten zu holen.
    Der Beginn des Festes gelang sehr gut. Das sinkende Licht ließ die Farben der Blumen und Kleider immer stärker hervortreten und wölbte eine Hieronymus-Bosch-hafte Glasglocke über das schnatternde Volk im Garten und in den großen, bis zum Platzen gefüllten Zimmern. Auch auf der Terrasse hätte kein Mensch ohnmächtig umsinken können. Ich empfand das Fest zu diesem Zeitpunkt wie eine Fahrt mit der Achterbahn, man wurde gemeinsam in die steile Höhe getragen, ein Aussteigen gab es nicht.
    Nur für Ivana, die anwesend und abwesend zugleich war. In der Küche hing ein Wandtelephon, das eine zuverlässigere Verbindung

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