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Das Blutbuchenfest

Das Blutbuchenfest

Titel: Das Blutbuchenfest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Mosebach
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    Nun, um Arbeit mußte sie sich in Frankfurt keine Sorgen machen. Sie hatte, als sie, ohne ein Wort Deutsch zu sprechen, vor Jahren in der Stadt angekommen war, am nächsten Tag zu arbeiten begonnen. Hier gab es Geld und Ärger, damit hatte sie sich abgefunden.
    Zu Hause allerdings sah es inzwischen anders aus.
    Seit der unseligen Hochzeit ihres hübschen Bruders hatte sie selten mit den Eltern telephoniert, zunächst überhaupt nicht. Sie war keines Trostes bedürftig und hätte Trost von Vater und Mutter auch nicht zu hören bekommen. Der Tod des kleinen Branko in seinem zermalmten Körbchen war unter den für Ivana unerträglichsten Umständen geschehen; es gab kein eindeutiges Verschulden einer Person, und doch hätte er vermieden werden können. Wenn so etwas eintrat, dann mußte der Ort, an dem es geschah, im ganzen verflucht sein, so empfand sie, ohne es auszudrücken, ein böser Ort war das, den Menschen zu meiden hatten, und dieses Omen erstreckte sich auch auf die Zeugen des Unheils. Wie ich es vorhergesehen hatte, weigerte sie sich, wieder zu mir zum Aufräumen zu kommen, der ich durch meine Anwesenheit mit dem großen Schrecken verwoben war und vielleicht gar in dem Riesenspinnennetz von Feinstkausalitäten meinen Ort hatte, die den Bremsstein in den weichen Boden drücken und den Wagen schließlich losrollen ließen. Und als sie plötzlich dann doch wiederkam, war sie unzugänglich bis zur Grobheit. Daß ich zu ihren Familiaren aufgerückt war, hatte einen Preis. Warum sollte es mir bessergehen als ihren Eltern?
    Aber nun hatte sich das Licht, das Bosniens menschenarme Landschaft, die scharf voneinander geschiedenen Täler, die kleinen Städte und Weiler mit Bauernhöfen beschien, verändert – nicht unversehens, angekündigt waren die Wolken seit langem, in Kroatien tobte seit Monaten ein städtezerstörender Krieg, während Bosnien noch außerhalb des Rings verharrte, in dem die Schlachten ausgetragen wurden. Und nun war sie da, die dünne Wolkenschicht, die die Sonne zu einem blassen Stern machte. Ein böses Unterweltlicht lag nun über der Kleinstadt, die ich mit Mirko durchstreift hatte, und auch das Mestrovic-Gehöft war gefangen in der Stimmung eines gespannten Abwartens. Ivana hörte in den wortkargen, auf bloße Faktenübermittlung beschränkten Gesprächen mit Eltern und Bruder heraus, daß sich im Großen etwas Neues anbahnte. Da wurde das einzelne Schicksal, so bitter es sein mochte, auf die Seite gekehrt.
    Von einem auf den anderen Tag war in den Läden der Kleinstadt alles unerhört teuer geworden, wie auf ein unsichtbares Signal hin; ohne Vorwarnung kostete Butter das Vierfache, Benzin das Zehnfache, auch der Schnapspreis, ein Richtwert, hatte sich vervielfacht. Dann hörte man, daß junge Männer nicht mehr über die Grenzen gelassen würden; am Rand der Kleinstadt waren Burschen, die nach Deutschland wollten, aus dem Bus geholt worden.
    Es war die Zeit des Heumachens. Der Vater war krank, die Mutter saß auf ihrem Stuhl, Anna war mit den Schwägerinnen auf den Wiesen, in Wogen von Heuduft mit dem Rechen die Haufen zusammenscharrend. In der Mitte der Wiese stand ein mächtiger Baum, weithin Schatten verbreitend, der die Rodung überlebt hatte und in seiner splendiden Einsamkeit riesenstark geworden war, wie das die Bäume in den Krüppelwäldern nicht schafften. Was für ein Baum? Ich weiß es nicht, ein Blätterwogen, ein weit Ausgreifen dichtbelaubter Äste. Zwischen seinen Wurzeln hatte ich mit Anna und Ivana gepicknickt, hier hatte das Körbchen des kleinen Branko gestanden. Anna, die Lügnerin, berichtete in knappesten Worten, was geschehen war: Ein Blitzen vom Berge Kuprec her, der sich über der Wiese erhob, und dann traf eine Granate den Baum und spaltete ihn von oben bis unten. Er war wie von Titanenfäusten auseinandergerissen. Die beiden Hälften der Krone überragten hoch den schon beladenen Heuwagen. Es blieb bei dieser Granate, aber der Vater alarmierte einen Mann, der kroatischer Milizionär war. Der wolle einen Panzer schicken, um in den Wald hineinzuschießen.
    »Nein«, sagte Ivana scharf, »wenn er das macht, müßt ihr vorher alle weg sein.« Das war im Bewußtsein gesprochen, daß der Vater sich daran nicht halten werde. Niemals gab er freiwillig sein Haus auf, das in jedem einzelnen Stein sein Werk war. Was ist ein Haus, wenn es ums Leben geht? Ihr werdet das Haus verlieren und das Leben dazu! Sie sah das aus der sicheren Entfernung nicht so

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