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Das Blutbuchenfest

Das Blutbuchenfest

Titel: Das Blutbuchenfest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Mosebach
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Stilfragen war Frau Markies’ Urteil für manche Leute unvorhersehbar. Die einen wurden unnachsichtig getadelt, die anderen lächelnd entschuldigt, dabei war es eigentlich ganz leicht: Wer es sich leistete, die Flaumfedern, die von einer Herkunft in kleinbürgerlichem Nest zeugten, nicht sorgfältig abzubürsten, obwohl die Karriere noch nicht gemacht war, der sprach sich selbst das Urteil. Wer aber oben angelangt war, dessen treulich auf dem dornenreichen Weg hinauf konservierte Geschmacklosigkeiten wurden als »authentisch«, »ehrlich« und »geradlinig« gefeiert. Manchmal erlebte ein und dieselbe Person ein solches Schwanken der Bewertung. Herr Breegen galt zunächst als geradezu erhabene Persönlichkeit, dann als hochgeschwemmter brutaler Prolet, und inzwischen wieder als ehrwürdige Autorität der nationalen Immobilienbranche; er selbst bekam von diesem Auf und Nieder nichts mit.
    Er hatte der Dienste der Markies bisher nicht bedurft. Daß sie für ihn arbeitete, war neuesten Datums, aber auf ihrer Jagdliste hatte er schon einmal vor dem Bankerott gestanden. Die Markies war beschlagen im Schicksal von Leuten, die sie nie kennengelernt hatte, oder die sie, um es mit ihren Worten zu sagen, wenn sie plump befragt wurde, »komischerweise nie kennengelernt« hatte. Ihr Gesellenstück in der nun doch noch zustandegekommenen Beziehung sollte die Vermittlung der Bekanntschaft mit Doktor Glück werden. Dem maß Breegen große Bedeutung zu. Vor der ersten Unterhaltung unter vier Augen schon bei einer privaten Party des einflußreichen Mannes zu Gast gewesen zu sein, mochte manches erleichtern, obwohl Breegen an Stimmungszauber eigentlich nicht glaubte, es waren zum Schluß doch immer nur die Zahlen, die siegten. Um die Freiheit zu haben, dies intime Gespräch vielleicht schon am Festabend zu erreichen – die Chance dafür war bescheiden, aber es gab sie –, hatte er Frau Breegen bei ihrer Lieblingsbeschäftigung zu Hause gelassen. Sie würde auf dem Sopha liegen und sich auf dem Fernseher die außen am Haus angebrachte Überwachungskamera zuschalten – nicht aus Angst, keineswegs, sie fühlte sich in dem festungsartig gesicherten Haus wohlbehütet. Aber sie genoß den köstlichen Reiz, als Unsichtbare zu beobachten, auch wenn in der stillen Wohnstraße oft zehn Minuten lang nicht ein einziges Auto vorüberfuhr. Sie sah die Einfahrt und das geschlossene Garagentor, und sie sah die Nachbarin, die ihren Hund ausführte und dabei so steif zu Boden guckte, als wisse sie, daß die Kamera sie gerade erfaßte. Sie sah einen anderen Nachbarn, wie er eine Tüte mit leeren Weinflaschen in den Kofferraum seines Wagens lud, aber sie verweilte auch gern auf der leeren Bühne ohne handelndes Personal, ohne streunende Katze oder vorüberhopsende Krähen, und tatsächlich war dieser leere Vorplatz vor dem Haus von einer geheimen Dramatik erfüllt, ein Tatort wie auf einem Polizeiphoto. Hier war etwas geschehen, oder es würde etwas geschehen, und derweil hielt das Leben den Atem an. Sie war nicht unintelligent, Herrn Breegens gefahrenerprobte und als Ratgeberin bewährte Ehefrau, aber sie hatte vollständig freiwillig die seelische Ökonomie einer Haremsdame entwickelt, die mit den spärlichen Tagesereignissen nicht verschwenderisch umgeht, sondern sich trainiert, auch aus den kleinsten Vorgängen noch einen Tropfen wohltuender Emotion zu keltern.
    Merzinger hatte eine Reihe großer Fackeln im Garten anzünden lassen. Es war dunkel geworden und die Flammen warfen ein flackerndes, viele Schatten erzeugendes Licht auf die Menschenschar, die sie umgaben. Herr Breegen hielt sich außerhalb des Gewimmels und blickte mit unbewegter Miene auf das Gedränge. Frau Markies hielt sich in seiner Nähe, obwohl sie sich innerlich zerrissen fühlte. Jede Zelle von ihr begehrte, sich ins Getümmel zu stürzen und aus tausend Gesprächsfädchen den dicken Filz zu gewinnen, aus dem sie Gold machen konnte. Empfand Herr Breegen, wie er da wahrhaft als Außenseiter auf die Menge blickte, daß er sich auf einem berauschend intensiven Fest befand? Sprach dies Fest zu ihm? Beeindruckte es ihn? Langweilte er sich? Auch eine Markies kam bei ihm nicht so leicht an die Antwort auf diese drängenden Fragen.
    Es war übrigens nicht mehr nur eitel Freude und Festeslärm, was als Wolke über der Gesellschaft lagerte. Es mischte sich in diese Wolke auch Mißstimmung und lautstarker Protest. Man durfte hier wohl von Hungeraufständen sprechen, denn Merzingers

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