Das Blutbuchenfest
anging, da würde es knapp werden. Merzinger gab auch schon die Anweisung, die Roastbeefscheiben dünner zu schneiden und zu teilen – aber was machte das schon, man kam ja nicht um sich satt zu essen auf ein solches Fest. Das war die eine Version, die Rotzoff gedanklich ausprobierte, die andere, daß Merzinger ein jämmerlicher Versager sei, solchen Aufgaben nicht im bescheidensten gewachsen.
Die Rolle, die Rotzoff als Fest-Entrepreneur dann schließlich für sich entdeckte, war die Überwachung Ivanas. Ein schier empörender Anblick bot sich ihm, als er in die Küche hineinsah, um schneller an ein neues volles Glas zu kommen. Inmitten des Festtrubels stand Ivana da und telephonierte.
»Der habe ich aber Beine gemacht«, rühmte er sich später seines entschlossenen Eingreifens, und tatsächlich war Ivana so verstört und geistesabwesend, als er sie anblaffte, daß er kein Risiko damit einging. Bei anderer Gelegenheit wäre die Begegnung bestenfalls unentschieden für ihn ausgegangen. Sie hängte ein und lief mit einer Flasche los. In diesem Loslaufen hatte sie etwas Kurzbeiniges. Die drei Male, die ich sie im Rock gesehen habe, erschien sie kleiner, sie war eine Frau für Hosen. Aber in diesem Loslaufen lag nur mechanische Pflichterfüllung. Während sie Leuten, die sie nicht ansahen, eingoß, stand ihr die ganze Zeit das stille schwarze Muslimenhaus vor Augen. Sie fühlte die Sogkraft der Spannung, die von dort ausging: wie dies böse Haus, von dem kein Fenster erleuchtet war, unwiderstehlich befahl, sich mit ihm zu befassen, zu ihm zu kommen. So treibt ein hilfloses Boot dem Wasserfall entgegen und dreht sich dabei tanzend im Kreise. Wo war der Mann, der Mirko im Haus festnagelte?
Es war für sie kein Zweifel, daß in diesem Nervenkrieg Mirko der Schwächste in der Mestrovic-Gemeinschaft war. Sie verachtete seine Frau. Die Frau eines solchen Mannes durfte nicht aus dem gleichen weichen, leichten Holz geschnitzt sein. Rotzoffs Rüffel hatte sie nur als physikalischen Anstoß wahrgenommen, wie die Billardkugel losrollt, wenn das Queue sie antippt. Die Botschaften von zu Hause entfernten sie aus der Menge, die sie umgab. Dies waren herandrängende Schatten. In Wahrheit war sie allein. Und deshalb suchte sie sich im Garten eine etwas ruhigere Ecke, nicht etwa, um nicht aufzufallen, wenn sie weitertelephonierte, sondern um die Stimmen aus Bosnien deutlicher zu verstehen. Die Mobilverbindung war hier besser – aber nur um das Unglück schneller reisen zu lassen.
Höchstens eine halbe Stunde hatte Ivana ihr Telephonat unterbrochen, die halbe Stunde, die das Schicksal der Familie Mestrovic entschied. Diesmal war die Mutter auf ihrem Stuhl am Apparat. Ihr kleines Telephon steckte stets in der Schürzentasche. Sie sprach tonlos, dem Grauen des Geschehenen angemessen. Mirko war verrückt geworden. Ein Spielhund, der plötzlich ein Kind in die Kehle beißt, nein, schlimmer, verderbenbringender. Er war auf einmal nicht mehr da, war mit der Schrotflinte aus dem Haus gelaufen, durch die Nacht hin zu dem drohenden, fremden, ein Leben lang erzvertrauten Haus. Dies Haus, mit dessen Anblick er aufgewachsen war, das zu seiner Welt gehörte wie das eigene, dessen Bewohner man nicht mochte, die man aber grüßte, er selbstverständlich besonders herzlich, da war durchaus des öfteren auch ein Lächeln über den Gartenzaun geflogen, mit den jungen Mädchen ohnehin, aber auch der schwerfällig breitschultrige Mehmed hatte sich zu solchem Lächeln gelegentlich verführen lassen. Wer konnte Mirkos Arglosigkeit widerstehen?
Wie war es zu dem Schußwechsel gekommen? Das war jetzt nicht zu rekonstruieren. Zwei Schüsse fielen, und dann stand Mirko wieder in der Tür, wachsbleich. Die rechte Schulter war ein roter Brei. Auf der Schwelle stürzte er hin. Ivana brauchte keine Details, um es genauer zu wissen. Sie sah Mirko vor der fremden Haustür. Sie sah die Tür sich öffnen, der Umriß des großen breiten Mehmed im Türrahmen, auch er mit der Waffe in der Hand. Aus dem Haus schwappte der Geruch, der drinnen lag, von den Leuten, die die gleichen Zwiebeln und den gleichen Kohl und das gleiche Lammfleisch aßen wie die Mestrovics, aber in deren Körpern etwas anderes daraus wurde, ein anderer Geruch. Und sie sah der Möglichkeit, ja der Wahrscheinlichkeit entgegen, daß Mirko als erster geschossen hatte. Und sie begriff auch: Jetzt war ihr Rat unnötig geworden, jedes Wort zuviel. Jetzt lief nur noch ab, was geschehen mußte.
In
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