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Das Blutbuchenfest

Das Blutbuchenfest

Titel: Das Blutbuchenfest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Mosebach
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schwarzen Härchen reinigte?
    Wenn sie vor mir darüber sprach, auf welche Weise sich ihre Lage in Deutschland grundsätzlich verbessern ließe, dann war aber doch wieder von der Arbeit für eine Frau die Rede – eine alte Frau, die reich genug war, Ivana die ganze Woche hindurch zu bezahlen, sie als Pflegerin, Haushälterin und Gesellschaft beständig um sich zu haben. Es war schön und gut mit ihren Putzstellen bei mir, bei Wereschnikow, der Markies, Maruscha und Breegen, aber dieser beständige Wechsel – es kamen schließlich noch ein paar Leute hinzu – zehrte an ihren Nerven. Jeder Haushalt war anders, jeder stand unter einem anderen Gesetz. Überall roch es anders, hielten die Leute eine andere Art von Ordnung oder Unordnung, hatten eine Fülle von Sachen angehäuft, die das Putzen behinderten, hatten andere Vorstellungen von den Rhythmen des Saubermachens. Bei mir putzte sie die Fenster erst, wenn es sich lohnte. Es war dann jedesmal mit einem Schock für mich verbunden, wenn ich unvorbereitet die Wohnung betrat und sie erbarmungslos kristallin durch offenbar scheibenlose Fenster ausgeleuchtet fand. Andere – Frauen! – wollten mitreden, wenn es ums Saubermachen ging. Diese leidenschaftliche Anteilnahme an einer Arbeit, die doch Ivana übertragen worden war und von ihr verantwortlich ausgeübt wurde, empfand sie geradezu als schikanös. Das durchkreuzte ihr energiegeladenes Putzen. Ihre Hände flogen als selbständige Lebewesen vor ihr her, Sachen gingen kaputt, das war wie welkes Laub, das abfiel, sie meldete so etwas nie. Ivana verachtete Kaputtes. Sie glaubte an die grundsätzliche Austauschbarkeit und Ersetzbarkeit jedes Gegenstandes. Wer versuchte, ihr in solchem Fall etwas vom Lohn abzuziehen, löste einen scharfen Wortwechsel aus.
    Die Frau, mit der sie am meisten stritt, war aber leider gerade die alte Frau, die bisher am ehesten in Frage für eine Dauerstellung gekommen wäre. Derzeit war sie noch zu unbeständig, zu launisch und noch kraftvoll genug, um diese Launen umsetzen zu können, aber der Tag rückte näher, an dem sie in ihrer Bewegung so behindert wäre, daß sie sich gegen Ivanas Bevormundung nicht mehr würde zur Wehr setzen können. Es kam jetzt nur darauf an, auszuhalten, die Nerven zu bewahren, den Streit nicht ins Unversöhnliche ausarten zu lassen und immer an die Zukunft zu denken.
    Aber das war nicht so leicht bei einer Frau, die täglich zu neuen Entschließungen gelangte. Ivana sah Frau Colisée nur in deren gegenwärtiger Verfassung, kopfschüttelnd, wie ein solcher Mensch hatte geboren werden können, aber auch mit der Vorstellung, hier sei mit kämpferischem Belebungsgeist noch etwas zu beeinflussen, gar zu ändern. Aber wenn Frau Colisée noch in der Verfassung gewesen wäre, in der sie einst ihr hochnamhaftes Haute-Couture-Atelier geleitet hatte, dann hätte keiner der Kämpfe, die Ivana ihr heutzutage lieferte, je stattgefunden. Sie wäre beim ersten Widerwort in hohem Bogen aus dem Haus geflogen. Wenn Beate Colisée, damals selbst absteckend, was sie sich in wichtigen Fällen nicht nehmen ließ, den Mund voller Stecknadeln, vor einem Mannequin kniete, dann hatte sie selbst mit geschlossenen Lippen, zwischen denen die Nadeln gefährlich wie die Stacheln eines Seeigels funkelten, derart schneidend zischen können, daß die Lehrmädchen und die Directrice erbleichten. Aus ihrem Arbeitsleben aber war ihr nur noch eine an Verachtung grenzende Gleichgültigkeit gegenüber jeder Art von Mode, vor allem, was die eigene Kleidung anging, geblieben; auch der Frauen, die sich mit so etwas abgaben. Der Menschenkörper war nackt und kälteempfindlich, diese Schutzbedürftigkeit empfand sie jetzt noch stärker als früher, sie hätte sich wie die Schnecken und die Einsiedlerkrebse mit ihren weichen Unterkörpern am liebsten hinter Panzerschalen verborgen. Statt dessen waren es weite, beinahe bodenlange Hemden, im Winter schwarzwollen, im Sommer aus schwarzem Kattun, die sie um sich herumfließen ließ; wenn sie saß, glich sie einem vom Stuhl herabquellenden Sack, über dem ein Gesichtchen mit rotgemalten Lippen schwebte, die Augen und die Stupsnase waren wie eingeklemmt zwischen dicken aufgeblasenen Wangen, die das Gesicht ganz eben erscheinen ließen. Las Frau Colisée einen Brief, dann sah etwas Flaches auf etwas Flaches wie zwei Seiten eines Buches – sie ging, kurzsichtig wie sie war, die Brille nie zur Hand, ganz nah heran ans Papier, als sollten die Buchstaben mit den

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