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Das Blutbuchenfest

Das Blutbuchenfest

Titel: Das Blutbuchenfest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Mosebach
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zusammengedrückt an seinem Leib. Wie schmutzige Fetzen sah das jetzt aus, und schon wartete die Rupfmaschine auf die Leiche, mit ratterndem Lärm, den zarten Federn keineswegs angemessen – dort hineingesteckt, darin von geübter Hand gedreht, mußte er zerfetzt wieder hervorkommen –, aber dann lag er auf dem Tisch, nicht wiederzuerkennen: Das eben noch von Kronen, Krägen, Schleppen, Puffärmeln aufgeblasen erscheinende Staatstier lag nun wie unverwundet mit nacktem schmächtigen Knabenkörper da, in konziser Form von Brust und Keulen, eine exakt ausgezirkelte Skulptur, deren Grenzen von Augen und Händen gleichermaßen betastet werden konnten.
    So meinte Mestrovic das offenbar: das In-dickem-Stein-zur-Form-Vordringen, das Wegschlagen der bloßen Materie, um zur bedeutungsvollen Materie zu gelangen. Er war Bauernsohn, da lag der Vergleich mit dem Schlachten der Hähne noch näher als der Friseur. Ich meinte, jetzt alles über Bildhauerei zu wissen. Mir war, als würde ich von Klarheit überflutet. Es gab nichts, was mir verborgen geblieben war.
    »Doch, eines«, Mestrovic drängte sich noch einmal in meinen Traum: »Wenn Bronzestatuen zerstört werden sollen, gießt man Gewehrkugeln daraus. Die Marmorstatuen werden zu Kalk verbrannt, um eine Hühnerstallmauer damit zu weißeln.« Dies war mit solchem Nachdruck gesagt, als enthielte gerade dieses Faktum eine tiefe Einsicht in das gesamte Skulpturenwesen – aber welche? Meine Gedanken verloren sich. Die Klarheit, die mich eben noch umfangen hielt, trübte sich ein. Der Himmel wurde grau, als sollte der schreckliche Regen wieder beginnen. Ivana, die in weiter Ferne, klein am Horizont weiter gearbeitet und geräumt hatte, richtete sich plötzlich auf und drehte sich um. Sie hatte eine Spur geplatzter Steine hinter sich gelassen, in denen es sich regte. Es war ein schneckenhaftes Leben, ein schmaler Teppich wimmelnder Bewegungen, der sich bis zu ihren Füßen zog. Und nun wurde sie, in sanften, organisch erscheinenden Schüben, größer und größer und verdunkelte den Himmel.
    Ich schlug die Augen auf. Vor mir stand, das Fenster verdeckend, als schwarzer Schattenriß Ivana, auf einen Schrubber gestützt, um dessen Bürste ein feuchter Lappen zum Bodenwischen gelegt war. Der schwere Mestrovic-Katalog war von meiner Brust gerutscht. Sie hob ihn auf. Zwei Seiten waren zerknickt. Sie kommentierte nicht, daß sie mich ausgerechnet über diesem Katalog eingeschlafen antraf – was sonst sollte ich lesen, als etwas über Mestrovic? Und wie sonst sollte ich darauf antworten, als darüber einzuschlafen?
    »Du kannst liegenbleiben«, sagte sie und schob den Schrubber unter das Sopha, während ich mit dem unendlichen Behagen eines Schuljungen mit leichter Grippe, der vom Bett aus die Tätigkeiten um sich herum verfolgt, dem Gedanken nachhing, ich müsse unbedingt mit Wereschnikow sprechen, weil ich ein großes Interview mit Ivan Mestrovic »im Kasten hätte«, als sei da, während ich schlief, ein Tonband gelaufen, bis sich diese beseligende und erregende Gewißheit allmählich verlor.

Achtes Kapitel
    Triumph des Ahnungsvermögens
    Es würde keine ganz billige Sache, eine repräsentative Mestrovic-Ausstellung, obwohl vieles in einer Mestrovic-Stiftung vereint war, die vielleicht kooperativ wäre. Oder würde dadurch erst recht alles schwierig? Wer wußte denn, wie der jugoslawische Staat zu Wereschnikows Vorhaben stand – in Belgrad wurde zur Zeit jedenfalls nicht besonders nachdrücklich mit der Menschenwürde argumentiert.
    Warum verbringen so viele erfolgreiche Künstler ihren Lebensabend damit, ein eigenes Museum für sich zu schaffen? Welche Unsicherheit liegt in dem Bestreben, dem eigenen Werk Quarantäne zu verordnen, als sei es der Konkurrenz der Zeitgenossen nicht gewachsen? Sind solche Stiftungen nicht Mausoleen, in denen das Werk zu Grabbeigaben wird? – am reinsten hat Thorvaldsen diesen Gedanken verwirklicht, der im Herzen seines Museums als Kunst-Pharao begraben ist. Aber selbst wenn man sich von dem Herbeischleppen der zentner- und tonnenschweren Mestrovic-Skulpturen aus Zagreb eine Belebung des Interesses an diesem Meister erhoffen durfte, wäre der Einsatz hoch. Ich stellte mir den Eisenbahnzug vor, der über die Kalkalpen die Madonnen und die slawischen Heldengestalten, die weiblichen Akte und die tiefbekümmerten Heiligen transportieren würde, lang wie für einen Zirkus mit Löwen, Pferden und Elephanten.
    Ich war nicht müßig. Meine Recherchen,

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