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Das Blutbuchenfest

Das Blutbuchenfest

Titel: Das Blutbuchenfest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Mosebach
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Horizont.
    »Sie räumt auf« – das dachte ich wörtlich, obwohl sie den Abfall, der sie umgab, unbeachtet ließ, kaum daß sie einmal einen rosa Gummihandschuh zur Seite schob. Und wieder warf sie einen Stein hinter sich, der mir vor die Füße rollte. Im Aufschlag klang er noch kieselhell und kieselhohl, aber dann zeigte sich, daß er aus etwas Weichem bestand, das sich dehnte, in dem etwas strampelte und sich regte. Ein feiner Riß verbreitete sich über seiner Oberfläche, und etwas schob sich daraus hervor – fünf rosige Knöspchen, sehr weich, aber ans Licht drängend, Fingerchen, kein Zweifel, die sich daranmachten, den Riß zu vergrößern, als wollten sie die Steinschale zum Platzen bringen.
    »Wir Mestrovic arbeiten alle an derselben Aufgabe«, diese Stimme, männlich, wie aus dem Innern einer Glocke dröhnend, sprach in meiner nächsten Nähe. Ich vermute, daß sie aus einem mächtigen wasserglänzenden Lehmhaufen drang, der ein Loch wie ein großes Maul hatte, einem urtümlichen Götzenbild nicht unähnlich, dem man die Opfer in dies Loch hineinschob. »Wir Mestrovic sind dazu berufen, Bosnien zu bevölkern. Ihm ein neues Volk zu schaffen, nach der Katastrophe. Niemals gab es hier Bildhauer, solange die Erde sich dreht, bin ich der erste. Die gnostischen Bogumilen, die hier einst herrschten« – von den Bogumilen hatte ich in der bosnischen Geschichte gerade gelesen, der dröhnende Lehmhaufen befand sich auf demselben Wissensstand wie ich – »haben alles richtig vorausgesehen: Der Demiurg, der große Volkwerker, der Völkerhersteller, würde einst aus den Steinen von Bosnien noch härtere Menschen schaffen. Ich bin dazu berufen, diesem Land ein Volk aus Marmor und Bronze zu schenken. Wir haben schon angefangen. Wir arbeiten zusammen, wie wir tausend Jahre zusammengearbeitet haben.« Und nach kurzem Schweigen fügte er hinzu: »Das Gewicht ist für eine Skulptur das Entscheidende. Stellen Sie sich den schönsten griechischen Gott, den Moses von Michelangelo aus federleichtem Material vor, Glasfiber, Aluminium, auf den Millimeter genau wie die steinernen Originale, sie wären Spielzeuge, unwahrer Plunder, sie wären, wenn sie im Wind davonrollten wie Blechbüchsen, sogar häßlich. Bei der Bildhauerei kommt es auf das Gewicht an, merken Sie sich das. Treten Sie gegen eine Skulptur, die Sie beurteilen wollen; wenn Sie sich die Zehen verstauchen, ist sie sicher nicht ganz schlecht.«
    Ich muß in die Nähe des Lehmklumpens geraten sein, denn mir wurde unerträglich warm. Er war hohl wie ein fest gemauerter Backofen, und in ihm brannte ein Feuer, das die Lehmwände gänzlich durchglühte. Was durch das Maul in den Ofen hineingeworfen wurde, würde darin in Blitzesgeschwindigkeit zusammenschnurren.
    »Auch Steinmenschen können weinen, Lavatränen, rotglühend«, ließ sich der Lehmklumpen unbewegten Mauls vernehmen, als hätte er meine Gedanken erraten. Und nicht alles verbrenne. Metall verliere zwar seine Form und werde zu fließenden Bächen, aber es gewinne abgekühlt eine neue. »Die gesamte Bildhauerei besteht aus zwei grundsätzlich verschiedenen Vorgehensweisen: dem Wegnehmen und dem Hinzufügen. Die Bronzeskulpturen, die aus dem Ofen hervorgehen, entstehen zunächst durch ein Hinzufügen.«
    Trocken und lehrhaft und dabei auch abkühlend waren seine Worte, die mir wiederholten, in einer den Träumen eigentümlichen Pedanterie, was ich schon wußte: daß der Bildhauer bei Herstellung des Tonmodells für den Guß zunächst aus der Masse den beabsichtigten Körper im groben forme, um sodann ein Tablett voller weicher Tonkügelchen vorzubereiten, das er seinem Modell zur Seite stelle, und nun überall, wo ihm Masse fehle, solche Kügelchen aufsetze, die er dann mit Hand und Spatel dem dicken Batzen einarbeitete.
    »Es ist wie früher beim Friseur«, unversehens hatte der Lehmofen menschliche Züge angenommen. Er glich nun Mestrovics Selbstporträt, faunisch, bocksbärtig, aber weniger leidend, die Erinnerung an den Friseur entspannte die vortretenden Halsmuskeln sichtlich. »Der Meister hat das Haarschneiden und Rasieren beendet, man glaubt, man könne sich erheben, und dabei geht es nun erst los mit kleinen genauen Maßnahmen – ›les touches‹ nannte man das in Paris«, sagte Mestrovic. Das seien die Zupfungen, Knetungen, Entfernung von Härchen aus Nasenlöchern und Ohren, nochmaliges Ansetzen des Rasiermessers, um stehengebliebene Borsten im Nacken zu erwischen, Auftupfen einer Crème,

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