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Das Blutbuchenfest

Das Blutbuchenfest

Titel: Das Blutbuchenfest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Mosebach
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die mich eigentlich hätten entmutigen müssen, machten mir Spaß. Ich empfand geradezu einen Realitätsschub beim Umgang mit ästhetischen Fragen, die sich in hohen Summen ausdrücken ließen. Wereschnikow schaute meine Berechnungen zerstreut an. Davon verstehe er nichts, aber so weit, daß man mit den Leuten, die etwas davon verstanden, reden könne, sei er noch nicht. Der Umfang der Summen erschrecke ihn kaum. Er gedenke mit »Stellen« zu verhandeln – habe sogar schon damit begonnen –, für die solche Beträge unbeachtlich seien. Ich lernte allmählich Wereschnikows Code in Finanzfragen verstehen. Jemand »hat kein Geld« hieß nicht, daß er kein Geld habe, jedenfalls unfaßbar viel mehr als ich, sondern daß er bereits anders darüber verfügt hatte. Ein anderer Jemand, über den es hieß, »da ist Geld«, war schwerreich zu denken, aber heimlichtuerisch, jemand, der sich nicht in die Karten und schon gar nicht in die Konten schauen ließ. Jemand »braucht Geld« hieß gleichfalls nicht, daß es sich hier um erschütternde Bedürftigkeit handelte, es war vielmehr die höchste moralische Legitimation damit verbunden. Nichts im weiten Rahmen bürgerlicher Gewohnheiten, was nicht vollends und befriedigend durch den Hinweis gerechtfertigt war, der Handelnde »habe eben Geld gebraucht«. Wereschnikows eigene Knappheit hätte er nie mit dem Wort: »Ich habe kein Geld« bezeichnet, das wäre ihm geradezu als Hochstapelei erschienen. Er blieb in seinen Augen, ein wenig elegante Koketterie war auch dabei, ein »Habenichts«, ein »Tagelöhner«, ein »armes Schwein«, wonach er stets herzlich lachte, man war eingeladen, diese Selbstironie mit ihm gemeinsam zu genießen.
    Aber was die Finanzierung der Mestrovic-Ausstellung angehe, so riet er jetzt eindringlich, sei es auf jeden Fall klug, auch Eigenmittel zu akquirieren – »um so besser, wenn wir sie dann nicht brauchen, die Dinge werden ohnehin immer teurer als geplant«. Soviel Wirtschafts- und Sachverstand besaß er. Sogar ich kannte dies Prinzip, es bewährte sich schließlich schon bei Autoreparaturen. Aber wo sollte ich anfangen, Spenden für Mestrovic »einzuwerben«, wie das hieß, da klang auch »Einsacken« mit? Ich wußte, wie Tintoretto bezahlt worden war – gelegentlich auch nicht –, aber die Dogen waren tot und die Bruderschaften aufgelöst, und wer weiß, was sie zu Mestrovic gesagt hätten. Ich hatte meine Ansicht zu dem großen Mann inzwischen übrigens stark modifiziert, wie es eben geht, wenn man sich eingehender mit einer Sache befaßt: Er konnte etwas – um es unangemessen herablassend zu sagen, er war zum Beispiel wirklich ein Meister des Knies. Nahm man seine Knie heraus, dann hatte man Detailplastiken in lieblichen Schwellungen und Höhlungen, sich dem Betasten anbietende Rundkörper, die geheimnisvoller waren als die Marmoreier von Hans Arp. Mit diesem Argument durfte ich natürlich nicht bei Geldgebern auftreten: eine Ausstellung des Knie-Künstlers Mestrovic. Wereschnikow aber war unwillig, mir Hinweise zu geben. Im Abgrasen und Ausflöhen von Subventionen hatte er zwar vielfältige Erfahrungen gesammelt, aber da sollte jeder, so fand er, eigene Wege gehen – dafür habe er sich ja gerade an mich gewandt.
    Immerhin war er so gnädig, mir zu raten, mich doch einmal an die Agentur Markies zu wenden – Inge Markies sei eine begabte Vermittlerin, »wenn sie sich für etwas begeistert«. Und als Frau Markies den Namen Wereschnikow hörte, war sie nach einigem Suchen im dichtgefüllten Kalender sogar bereit, mich zu empfangen. »Wir trinken einen Tee, und Sie erzählen mir von Sascha Wereschnikow«, wie bedeutungsvoll das klang. Dabei war alles ganz einfach, wie ich bald erfuhr. Frau Markies hatte eine kleine Affaire mit Wereschnikow hinter sich, die nun auch schon Jahre zurücklag und damals »im guten und in bester Freundschaft« beendet worden sei, so Wereschnikows Version, der sie »bis zu einem gewissen Grade auch zustimmen« wollte.
    Ich habe schon angedeutet, daß ich mich in der Angelegenheit dieser Ausstellung geheimnisvoll geführt fühlte. Seitdem Ivana Mestrovic bei mir putzte, besaß ich nicht mehr die innere Freiheit, mich für oder gegen meine Mitwirkung in dieser Sache zu entscheiden. Die Verblüffung, mit der ich ihren Namen hörte, steckte mir noch in den Knochen. In späteren Jahren hätte das nicht mehr einen solch tiefen Eindruck gemacht, aber damals war ich noch ein halbes Kind, »tatenarm und gedankenvoll«

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