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Das Blutbuchenfest

Das Blutbuchenfest

Titel: Das Blutbuchenfest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Mosebach
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mit beiden Händen ins Gesicht langend, um sie in großen Bewegungen fest und nachdrücklich einzustreichen und einzumassieren – »Kein Mensch sonst dürfte wagen, einem derartig ins Gesicht zu langen, als ob man ein lebloser Körper sei« –, dann der unruhige kritische Blick des Friseurs auf den Kopf über dem wie im Operationssaal abgedeckten Körper, ein behutsames Stutzen der Augenbrauen, ein Ausschütteln des Capes, ein erneutes Umlegen, »denn ›les touches‹ haben kein natürliches, zwangsläufiges Ende, man kann ihnen stets weitere Touches hinzufügen, gerade darin besteht ihr Wesen«. So arbeite er am Modell, denn es gehe um Perfektion, und Perfektion sei das Ergebnis vieler ›Touches‹.
    Während er sprach, floß aus einer Ritze des Lehmofens eine lange Quecksilberzunge, die in sich bebte, zauberhaft dickflüssig und dünnflüssig zugleich – »So beleben die Touches das Detail, keine Stelle des Modells darf untouchiert sein, bis das Ganze uns unter den Händen entgegenpulst.«
    Ivana hatte sich unterdessen weiter entfernt, immer gleich konzentriert über den Boden gebeugt, Kiesel aufnehmend, wägend und hinter sich schleudernd. »Es ist eine Arbeit bis zum Tod, denn dies Tal erstreckt sich weit.« Aber das war nicht drohend oder klagend gesprochen, sondern geradezu tröstend – was schließlich hätte Ivana tun sollen, wenn sie eines Tages jeden Kiesel umgewandt hätte? Das Wasser war weitgehend abgelaufen. Das eben noch triefende Tal trocknete schnell. Der Boden trank das Flüssige wie Löschpapier. Hier und da sprang bereits die sandige Erdkruste, bald würde ein Schlammcraquelé die weiten Flächen überziehen – Bosnien sollte lebensfeindliches Land bleiben – entweder zu naß oder zu trocken.
    »Ganz anders verhält es sich mit dem Wegnehmen in der Bildhauerei.« Mestrovic sprach nun nicht mehr aus dem Lehmofen heraus, der in sich zerfallen war. Er blieb anwesend, aber wie eine Person, die in einer Filmaufnahme unkenntlich gemacht wird. »Das Wegnehmen ist die eigentliche Bildhauerei. Da wird mit dem Hammer gehauen, bis die Handgelenke kaputt sind. Das trat bei mir zum Glück erst spät ein. Aber es ist Knochenarbeit, das Wegnehmen, und zuallererst Zerstörung. Vor Ihnen steht der edle kostbare Block, wie er aus dem Steinbruch kommt, als Block schon eine unübertreffliche Schönheit, und der wird zerhackt, zersplittert. Ein erschreckender Vorgang. Es gibt nicht viele Bildhauer, deren Werk die Zerhackung, die Zerstückelung eines erhabenen Steinblocks rechtfertigt, der, wie er daliegt, bereits ein Altar ist. Es geht zu wie beim Hähneschlachten …«
    Und augenblicklich sah ich mich in einem schmutzigen Hof. Wie die Verschmiertheit der Mauern von der Hahnenpracht abstach: Ein starker Hahn mit einem herrlich aufgeplusterten Federkleid in Schwarz und Weiß, dazu das leuchtende Rot des Kamms und das Maisgelb der Beine, schritt ernsthaft auf und ab, hielt unversehens, wie unbeabsichtigt neben einem nervösen, unsicher pickenden Huhn, trat es mit den großen Krallen nieder, das Huhn preßte sich gegen den Boden, und schon war die Vereinigung beendet, und der Hahn widmete sich, erhaben schreitend wie Ludwig XIV. in einem Ballett von Lully, seinen fernen großen Gedanken. Wer den Begriff der Würde definieren wollte, mußte nur diesen Hahn betrachten. Und wie grausig wurde diese Würde zerschlagen. Ein Mann trat von hinten an ihn heran und packte ihn bei den starken Beinen. Der Hahn hing mit dem Kopf nach unten, kraftlos war sein Flattern. Eben noch der König eines Volkes, erkannte er jäh, daß er unter der gnadenlosen Oberherrschaft der Menschen stand, daß er keinerlei Rechte besaß und daß über sein Schicksal schon entschieden war, als die Eierschale ihn noch umschloß. Ohne auch nur hinzusehen, sich fortwährend weiter unterhaltend, des gedämpften, schockierten Gackerns nicht achtend schnitt der Mann ihm mit einem scharfen Messer den Hals durch – bevor aber nur ein Blutstropfen hervorgetreten war, steckte der Hahn schon kopfüber in einem Blechtrichter; nur die strampelnden und zappelnden Füße sahen daraus hervor – in diesem Trichter half ihm nichts mehr, so ausdrucksvoll die Beine sich bewegten, die Zeugen würden keine Hand zu seiner Befreiung rühren. Über diese ganze Hahnenwürde war gleichgültig hinweggegangen worden. Als er aus dem Trichter, wo er sich ausgeblutet hatte, herausgezogen wurde – darunter schwamm es dunkelrot –, klebte der Federschmuck

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