Das Blutbuchenfest
ihren eigenen Verbindungen, das sah nach einer fruchtlosen Mühe aus. Sie ließ dennoch ein paar Namen fallen, zerstreut und innerlich bereits mit anderem beschäftigt, aber das waren Banken und Stiftungen, auf die jeder Zeitungsleser und sogar ich gekommen wäre.
»Ist das nicht auch ein bißchen faschistisch?«
Das war aber nicht empört gesprochen, eher im Zweifel, ob dem Ganzen nicht ein gewisser Chic fehle. Sie suchte nach einer Schublade, und wenn Mestrovic da hineinpaßte, dann wäre für sie guten Gewissens die Angelegenheit erledigt, aber es ging auch ohne gutes Gewissen, so interessant war der Fall nicht.
»Er hat in den zwanziger Jahren in Rom gearbeitet«, sagte ich. Sie verdeckte ihre Gleichgültigkeit nicht mehr: »Ach? Und trotzdem …?«
Unversehens richtete sie sich in ihrem bequemen Gartenstuhl ein wenig auf und faßte mich, jetzt wieder strahlend, wie zu einer Offensive der Liebenswürdigkeit gerüstet, ins Auge: Sie müsse mich unterbrechen, ich möge aber meinen Gedanken behalten – ihr falle ein, daß sie mich ganz schnell für die Erledigung einer Kleinigkeit verlassen müsse.
Wir steuerten dem Höhepunkt unserer Begegnung entgegen, einem in meinem Leben bisher einzigartigen Vorkommnis, das ich versuchen muß, durch ein Höchstmaß an Einfühlung in Frau Markies zu begreifen.
Sie entfernte sich, und ich hörte ihre Schritte in den Tiefen der großen Wohnung verhallen. Ich saß in Frieden auf dem schönen Balkon. Ich trank meinen Tee. Ich machte Bilanz, keineswegs pessimistisch, ich stand schließlich erst am Anfang meiner Arbeit, da durfte ich mich auch einmal in einer Sackgasse befinden. Was ich erfahren hatte, waren neue Facetten von Wereschnikows Persönlichkeit, die mir als Merzinger-Besucher bisher verborgen geblieben waren. Wie Frau Markies konnte man den großen Löwen offenbar auch sehen, obwohl mir schien, hier seien alte Rechnungen offengeblieben. Wereschnikow empfand sein Verhältnis zu Inge Markies aber wohl nicht als belastet. Er sah sie doch geradezu als Referenz, sonst hätte er mich nicht zu ihr geschickt. Wir wissen sehr wenig darüber, was unsere Freunde von uns halten, diesen Gedanken formulierte ich mit der Gelassenheit des Weisen.
Zeit dazu hatte ich, denn Frau Markies kehrte nicht zurück. Sie war jetzt schon ziemlich lange fort. Ich hatte nicht auf die Uhr gesehen, aber das tat ich jetzt. Um halb fünf pünktlich war ich eingetroffen, länger als eine halbe Stunde hatten wir nach meinem Gefühl nicht geplaudert, und jetzt war es Viertel vor sechs oder schon darüber hinaus.
Durfte ich auf mich aufmerksam machen? Es gehört zu meinen großen Gaben, lange untätig auf einem Stuhl sitzen zu können und dem Verstreichen der Zeit zuzusehen. Was ich nicht wußte und auch nicht ahnen konnte: Frau Markies war schon längst nicht mehr im Hause. Sie war an ihren Schreibtisch gegangen und hatte dort ein kurzes Telephonat geführt, das hatte ich aus der Ferne noch gehört. Dann ging sie ins Badezimmer, und ich stelle mir vor, daß sie sich dort im Spiegel betrachtete und mit der Konzentration, die dafür erforderlich ist, das Lippenrot nachzog.
Und in diesem Augenblick der inneren Bündelung und Ausrichtung aller Gedanken auf ein einziges Ziel muß ihr jäh meine Anwesenheit entfallen sein. Die unter ständiger Hochspannung stehende Geschäftsfrau hatte unter der Leere und Ergebnislosigkeit unserer Unterhaltung unbewußt wahrscheinlich noch mehr gelitten, als sie ohnehin zu erkennen gegeben hatte, nachdem sie ihre Botschaften an Wereschnikow losgeworden war. Dies Treffen mit mir war etwas, das sie sich gar nicht leisten konnte. Es mußte augenblicklich und ohne weitere Konversation beendet werden. Aber eben nicht durch einen Kraftakt, einen blitzartigen Hinauswurf, eine doch auch kräfteverzehrende Aktion. Ich wurde deshalb, so gesund waren ihre Instinkte, in dem Augenblick, da Gewichtiges sie rief, aus ihrem Bewußtsein einfach ausgefällt.
Obwohl ich das Opfer dieser ihrer Fähigkeit war, unbelastet voranzuschreiten, ohne sich noch einmal umzudrehen, kann ich meine Bewunderung dafür nicht verbergen. Ich hänge so viel Gestrigem, Mißlungenem, Peinlichem, Verpatztem und Vorwerfbarem nach, daß ich meinen Blick oft kaum auf die Gegenwart richten kann. Aber in dieser Bewunderung lag keineswegs der geistige Ertrag meines Besuches, sie wurde mir vielmehr dadurch leichtgemacht, daß eine weitere Steigerung meiner Erlebnisse in der Agentur Markies auf mich wartete, ein
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