Das Blutbuchenfest
wahrhaft schicksalhafter Augenblick und zugleich der unerhörte und in einem Leben unwiederholbare Triumph meines Ahnungsvermögens.
Aus den allmählich im Dämmer versinkenden weit ausgebreiteten Räumlichkeiten nahten Schritte, nicht das stämmige, beinahe stampfende Schreiten, in dem Frau Markies’ Schwere sich, so gut sie sonst kaschiert war, dann eben doch äußerte, sondern geradezu hüpfend, wie die kleinen Mädchen vergnügt vor sich hin springen, wenn sie unbeobachtet sind. Die großen, wenig möblierten Zimmer luden zum Tanzen ein.
Und dann stand sie vor mir, das Mädchen mit dem Laptop aus der U-Bahn, diesmal ohne Springerstiefel, sondern in ausgetretenen rosa Ballerinas, aber wieder mit kriegerischer Hose, die Schultern nackt, das Haar im Zustand des Auseinanderfallens, die Versuche, diesen glatten Strähnen Locken beizubringen, waren aussichtslos, wie – jedenfalls kurzfristig – die Anläufe der Meereswellen, einen Felsen zu formen, indem sie ihn unablässig überspülen und wieder von ihm ablaufen. Wie ein Meereswesen war sie vor mir aufgetaucht, die unförmige Soldatenhose konnte geradezu für einen Fischschwanz gelten. Sie hatte sich allein geglaubt und erschrak, als sie mich sah, aber nicht so sehr wie ich: Ich war wie vom Donner gerührt.
»Was machen Sie hier?« Meine Frage war unangemessen und für sie ganz unverständlich, denn während ich sie damals beobachtete, hatte sie mich doch überhaupt nicht wahrgenommen. Sie sah mich jetzt zum ersten Mal und konnte nicht ahnen, daß ich mir aus einer höchst einseitigen Bekanntschaft schon eine kleine Geschichte gesponnen hatte, als sei hier eine Art Gegenseitigkeit entstanden. Sie antwortete nicht auf meine dumme Frage, sondern begann zu lachen.
»Warten Sie auf Inge?« Die sei doch seit fast zwei Stunden nicht mehr im Haus, komme auch nicht wieder, wie sie eben gerade am Telephon gesagt habe. Glaubwürdig verdutzt konnte ich nach der langen Wartezeit nicht mehr sein, aber erklären ließ ich mir gern, daß so etwas gelegentlich durchaus vorkomme. Inge Markies sei manchmal sehr seltsam, erklärte das Mädchen. Sie vergesse manchmal etwas so gründlich, daß sie sich auch später nicht mehr daran erinnern lasse – »dann ist die Festplatte gelöscht, sie kann sich nicht einmal dafür entschuldigen, denn sie weiß es nicht mehr, und dann kann es ihr natürlich auch nicht leid tun«. Zum Glück komme so etwas aber nicht in wichtigen Fällen vor – »nur bei blöden Sachen« –, ihr fiel ein, kaum daß sie das gesagt hatte, daß ich ihre Bemerkung als unfreundlich verstehen könnte, und begann, sich in komischer Verzweiflung in Erklärungen zu verhaspeln – nein, sie habe nicht behaupten wollen, eine Verabredung mit mir sei etwas Blödes, etwas zu Vernachlässigendes, Unwichtiges –
»Doch, doch, genau das wollten Sie sagen«, rief ich in gespielter Pedanterie. Wir lachten, und ich empfand ein großes Glück bei diesem gemeinsamen Gelächter. Sie setzte sich. Sie hatte Zeit, das Büro sei ohnehin jetzt geschlossen. Ich erfuhr, sie heiße Winnie, und ich freute mich über diese Neuigkeit; sie paßte wie der Schlüssel ins Schloß zu meinem Eindruck von ihr, ein Schmetterlingsname, eigentlich gar kein richtiger Name, nur ein nicht wirklich faßbares Geräusch – könnte es nicht einen Vogel geben, der Winnie zwitschert? Auf keinen Fall wollte ich wissen, ob sich hinter den beiden verspielten Silben so etwas Ernsthaft-Bedeutsames wie Winifred oder Quendolin oder gar Wilhelmine verbarg – gerade der letzte Name wäre bei ihr von großer Komik gewesen. Weil sie sprach, und zwar sehr lebhaft und sich lachlustig immer wieder unterbrechend, bot sich mir ihr Gesicht nicht in der gespannten Ruhe, in der ich es hatte in der U-Bahn kennenlernen dürfen. Sie erschien mir jetzt weniger verwundbar, weniger zerbrechlich, und das beruhigte mich. Sie war ein heiteres, offenherziges Temperament. Es war völlig mühelos, das Gespräch immer weiter laufen zu lassen; wenn ihr zu einem Gegenstand nichts einfiel, dann sprach sie über etwas anderes. Sie war sprunghaft, aber im Dienst der Gemeinsamkeit, der es nichts genützt hätte, wenn sie stockte und nachdachte, bloß weil es vielleicht irgend etwas zu klären gab.
»Wie lange haben Sie an dieser Tasse Tee getrunken?« Das war eine Frage, die sie unerhört erheiterte, aber sie wollte sich nicht auf meine Kosten amüsieren, sondern stand auf und kam mit einer Flasche Champagner zurück.
»Wir haben
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