Das Blutbuchenfest
immer gekühlten Champagner da, für die Vertragsabschlüsse.« Das sagte sie so streng, als erinnere sie an ein juristisches Erfordernis. Sie lerne viel bei Frau Markies. Frau Markies habe ihr erklärt, sie verfüge über »das Herrschaftswissen«; auf meine Frage, was das denn wohl sei – war Frau Markies etwa Kautilya- oder Machiavelli- oder Hobbes-Leserin? –, präzisierte Winnie: zu wissen, wie es so läuft, wie man alles so mache, wie es eben gehe, woran man denken müsse.
»Zum Glück muß man nicht daran denken, ob man jemanden auf dem Balkon vergessen hat«, diese Bemerkung war Winnies reine Freude, es war ihr bei dem »Herrschaftswissen« auch nicht ganz wohl zumute, in ihrer Bescheidenheit meinte sie wohl, wenn wirklich etwas daran sei, dann wäre es für sie vermutlich zu hoch.
Es dauerte aber immer noch eine ganze Weile, und es war dunkel auf dem Balkon geworden, auf der anderen Straßenseite gingen die gelben Lichter an, ein Treppenhaus gegenüber hatte schöne Jugendstil-Fenster und leuchtete wie eine arabische Laterne, bis ich ihr bekannte, sie bereits einmal ausführlich beobachtet zu haben.
»Das haben Sie gesehen?« Ihr Staunen war so groß, daß sie zunächst nicht weitersprechen konnte. Sie zögerte, ihre Gedanken verloren sich. Mir war, als überlege sie, ob sie mich einweihen solle. Eine Störung war eingetreten. Dann fing sie sich. Es sei ein schlimmer, ein ihr tief ins Herz schneidender Augenblick gewesen. Sie habe – sie hielt noch einmal inne – was war das? – sie überwand ein inneres Hindernis – ja, sie habe eine wunderschöne Katze besessen, rötlich-braun und weiß gestreift – wie Zucker und Zimt! – dazu grüne Augen, zärtlich und jedes Wort verstehend – »alles, was ich zu ihr sagte«. Sie habe sie selbst aufgezogen, als winziges Wesen sei das Kätzchen zu ihr gekommen, ein Bauer in Süditalien habe in einen Pappkarton gegriffen, in dem die kleinen Katzen übereinanderkrochen, und habe sie herausgelangt, als habe er gewußt, welche von den sieben am besten zu ihr paßte. Auf der ganzen Fahrt nach Deutschland sei das Kätzchen verzweifelt gewesen und habe mit den noch weichen, aber die Haut schon tüchtig ritzenden Krällchen gekämpft, aber dann habe auch in der kleinen Katze die Liebe begonnen und sei immer leidenschaftlicher geworden – und als sie jetzt zu ihrer Tante ziehen mußte, die ein bißchen durcheinander im Kopf sei und besser nicht mehr allein lebe, da habe sich das Kätzchen in der neuen Umgebung augenblicklich zu Hause gefühlt. Sie schilderte sehr farbig, geradezu ein wenig hemmungslos, als müsse sie meinen Unglauben besiegen, welche Anregung ein solch intelligentes und liebevolles Tier einem Menschen geben könne, der dabei sei, die Kontrolle über seinen Geist zu verlieren. Mit dem Kätzchen habe die Tante sich noch besser austauschen können als mit ihr, Winnie. Aber ungefährlich war der Umzug für die Katze deshalb noch längst nicht. Das neue Haus hatte ihre Neugier und Unternehmungslust geweckt. Irgendwann, als Winnie im Büro war, mußte die Wohnungstür offengestanden haben – ein Zucker-und-Zimt-Blitz fuhr durch den Spalt, so stellte sie sich das vor, hinab durchs Treppenhaus, ganz von dem eingeborenen, aber bisher nie betätigten Jagd- und Freiheitstrieb erfüllt, ja von ihm rauschhaft überwältigt, und dann das Verhängnis – das zu spät bremsende Auto, und sie wisse immer noch nicht, ob sie dankbar oder unglücklich sein müsse, dies Schreckensereignis nicht gesehen zu haben. »Als Sie mich in der S-Bahn beobachtet haben, kam die Nachricht aus der Tierklinik, daß die Kleine nicht zu retten war.« Und während sie dies sagte, fiel ein helles Licht von gegenüber auf ihr Gesicht, und ich sah, daß es gerührt war und in den Augen wieder die Tränen standen und daß die vollen blassen Lippen eingesaugt und zusammengepreßt, regelrecht mißhandelt wurden; wieder hatte ich die verrückte Vorstellung, sie könne sie verletzen.
Neuntes Kapitel
Die Würde im Dunkeln bewahren
Maruscha hielt es für angemessen, daß Herr Breegen ihren Freund Sascha Wereschnikow so respektierte, wie sie selbst das tat, und nicht auf ihn herabsah, bloß weil Sascha nicht wußte, daß sie auch Breegens Geliebte war. Männer hatten das manchmal an sich: jemanden zu verachten, weil man mit dessen Frau schlief. Im übrigen hatte er noch nicht ein einziges Mal mit ihr im buchstäblichen Sinne geschlafen, weil er sie meist am Nachmittag besuchte und
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