Das Blutbuchenfest
Wereschnikow und Breegen waren beide spürbar hingerissen, bis zur Zappeligkeit begeistert von diesem Ausschnitt und hatten ihre Augen kaum unter Kontrolle, wenn auch aus ganz verschiedenen Gründen. Wereschnikow verfolgte gebannt, wie die Wölbung des Busens während des Abends allmählich einsank und aus der Konvexen schließlich eine Konkave geworden war, und wurde bei diesem Anblick von einer Welle von Rührung und Zärtlichkeit überspült, es traten ihm beinahe Tränen in die Augen, er hätte sich jetzt für sie erschießen lassen können, während Breegen eine Woche vorher in seinem Lieblingsrestaurant – die Leute lebten teilweise von ihm – für solche Details gar kein Organ besaß, sich im Rundum-Strahlen ihres Schönheitsglanzes sonnte und im Gespräch mit den anderen Männern eine Virilität des Ernstes und der Gewichtigkeit, gar der Unbeeindruckbarkeit an den Tag oder vielmehr an die Nacht legte; sie waren, wie stets, wenn Frau Breegen in Zermatt weilte, erst gegen elf dort eingetroffen. Es war nur selbstverständlich, daß sie in Wereschnikows Gegenwart nie wieder ihre immer noch schönen und vollen Brüste derart hochstemmen würde; obwohl er kaum ein Wort Russisch sprach, war er eben doch für sie in erster Linie ein Russe, letztlich unberechenbar, imstande, aus seinen Einsichten unvorhersehbare Schlüsse zu ziehen.
Mit einem Deutschen, schon gar mit einem Breegen war es dagegen wie im Kindergarten – der Mann ließ geschäftlich alle Puppen tanzen, hatte eine Pleite hingelegt, bei der weiten Kreisen in der Stadt Hören und Sehen vergangen war, hatte sich binnen kurzem vollständig erholt, stand jetzt besser da als zuvor: »Ich habe die Leichen meiner Feinde den Main hinuntertreiben sehen«, sagte er mit behaglichem Lächeln, während die Äuglein aus den weißen Specklidern kühl herausblitzten, aber vor Maruscha stand er wie ein Knabe, und zwar nicht wie ein frecher, sondern wie ein scheu staunender Knabe. Welch außergewöhnliche, unerreichbare, jetzt tatsächlich ihm, oder besser überwiegend ihm gehörende Frau war ihm da zuteil geworden – letztlich ganz einfach, denn sie war es ja, die ihn angesprochen hatte, er hätte sich das umgekehrt nie erlaubt. Nein, er war bei Maruscha auf etwas ganz Besonderes, etwas Feines gestoßen, eine Frau von Klasse aus einem hochstehenden, ihm bisher fremd gebliebenen Milieu – Wereschnikows glänzende Beziehungen zu den Großen der internationalen Politik, die sie ihm eindrucksvoll schilderte, färbten auf sie ab, sie hatte teil an diesem Umgang, Boutros Ghali und Henry Kissinger waren ihr zwar noch nicht vorgestellt worden – Maruscha hatte nicht nötig, etwas zu erfinden –, aber durch Wereschnikow befand sie sich in deren Dunstkreis. Sie selbst hatte Wereschnikow mit diesen Herren telephonieren hören, die Stimme dieser Herren hatte hier in diesen Räumen aus dem Hörer gequäkt, und manchmal war sie sogar zuerst am Apparat gewesen, auf ihre Trommelfelle – Breegen stellte sich bei ihr zartest Behaartes vor, Chinchilla-Ähnliches – waren die Stimmen der Mächtigen aufgeprallt. Und das in Breegens Wohnung! Denn ihm gehörte sie schließlich, er war es, der in den fünf Mietshäusern der Straße die Serie von Maisonette-Wohnungen eingebaut hatte, um viel Geld damit zu verdienen. Statt dessen verzichtete er bei Maruscha auf die Miete; zunächst war vereinbart, daß sie wenigstens die fixen Kosten zahlen sollte, dann fielen auch die weg, weil sie es einfach nicht tat – nicht aus Unkorrektheit, sondern weil sie es »unwürdig« fand, so ihre Worte, Breegen monatlich tausendzweihundert Mark zu überweisen, so wie sie miteinander standen. Würde, ein wunderschönes, tiefgrundiertes Wort, im Sprachschatz von Herrn Breegen nur passiv vorhanden, aber bewies er nicht gerade dieselbe, wenn er sie für sich nicht ohne weiteres in Anspruch nahm?
Eben gerade gab Wereschnikow ein Fernsehinterview, eine Livesendung, wie Maruscha eigens betonte, weswegen er ja auch nicht in der Wohnung war und weswegen Maruscha und Herr Breegen ihn jetzt am Bildschirm zusammen betrachten konnten –
»Ich muß den Kasten anmachen«, sagte Maruscha mit beruflicher Sachlichkeit, »denn Wereschnikow will heute abend genau wissen, wie er gewirkt hat – ich bin sein Coach, wie du weißt«, und Breegen hatte keine Einwände. Der bleiche gekochte Schinken – von der Liebe war sein Gesicht noch sanft gerötet – war auch wieder von seiner gestärkten Serviette umgeben,
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