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Das Blutbuchenfest

Das Blutbuchenfest

Titel: Das Blutbuchenfest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Mosebach
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vorbei! Risse doch jemand, und sei es Wereschnikow selbst, jetzt unversehens die Schranktür auf! Der Mann hatte es wortreich mit der Würde auf dem Balkan, aber was war mit Herrn Breegens Würde? Das war eine ganz neuartige Frage, nie hatte er sich in dieser Hinsicht Gedanken gemacht. Was kam einer Persönlichkeit in seiner Lage eigentlich zu? Weglaufen doch ganz bestimmt nicht. Es war Maruscha, die ihn die Treppe hinunterbugsiert, ja, geradezu, so wollte ihm scheinen, ein wenig geschubst hatte. Er wäre von sich aus, so schwor er sich jetzt, einfach sitzen geblieben; er war schließlich nicht mehr in Unterhosen, sondern für eine auch feindselige Begegnung gerüstet. Wer war er, daß er sich versteckte? Wie hatte er in seinem großen Bankerott standgehalten, in den er eine der ältesten und solidesten Privatbanken hineingerissen hatte! Die Bankiers hatten ihren Ruf auf alle Zeiten verspielt, konnten sich nirgends mehr sehen lassen. Der Ruf, sich mit »einem wie Breegen« eingelassen, Breegens irrwitzigen Gewinnversprechungen geglaubt zu haben, klebte an ihnen wie Hundedreck unterm Schuh. Nie fehlte der entrüstete Hinweis auf »einen wie Breegen«, als sei er der Repräsentant eines ganzen betrügerischen Milieus; das mußte man erst einmal aushalten; aber heute war er wieder da, und zwar ganz dick, und das bezog sich nicht auf seinen Hüftumfang. Während die Leichen von vor sieben Jahren noch halbverwest herumlagen, sagte man jetzt anerkennend über Breegen: Er ist ein Steher – ja, dachte Breegen bitter, ein Steher im Kleiderschrank! Was wäre denn groß passiert, wenn er sich oben aus seinem strahlend erleuchteten Liebesparadies nicht hätte wegschicken lassen? Der heimtückische Wereschnikow, der Live-Sendungen vorspiegelte, um dann unvermutet als eigenes Double im Zimmer zu stehen, was hätte er schon tun können? Drohen, schreien, eine Szene machen, auf Breegen losgehen – unangenehme Vorstellung –, aber hilflos war er nicht, im Baugewerbe mußte man auf rauhe Sitten gefaßt sein. Er hatte eine zuverlässige Telephonnummer von zwei Bosniern mit Kleiderschrankschultern, ihn fafner- und fasold-artig hoch überragend, die hatten schon manche Gefühlsaufwallung wieder abflauen lassen. So war das, solch ein Kerl war Breegen; ein Hampelmann aus dem Fernsehen, das war ein Fliegengewicht dagegen, Damenunterhaltung am Nachmittag – wer saß denn überhaupt nachmittags vorm Fernsehen? Wenn andere Leute die Stimme hoben, verstummte Herr Breegen. Nicht nur die schmalen Lippen wurden zu einem Schlitz wie in einem Gartenschlauch, jede Pore schien sich zu schließen. Die Entgegennahme jedes von auswärts gesendeten Signals wurde abgeschaltet. Breegen verwandelte sich in einen Götzen der Unzugänglichkeit. Die Leute machten bei ihm die beunruhigende Erfahrung eines Mannes, der durch keinerlei Appell zu erreichen ist: nicht indem man sich an seine Habgier, seine Angst, sein Mitleid, seine Eitelkeit, seine Loyalität, seine Freundschaft wandte – da bewegte sich gar nichts – Schotten dicht, Zugbrücke hoch, Klappe zu –, was das im übertragenen Sinn hieß, hatten verzweifelte Geschäftspartner im Umgang mit Breegen erfahren dürfen. Warum nicht Wereschnikow? Wieso jetzt die Flucht ergreifen? Wieso durfte dieser aufgeblasene Russe, der gar nichts dabei zu finden schien, in einem Appartement zu wohnen, dessen Miete er nicht bezahlte – ein Groschenjunge hätte mehr Stolz besessen! –, einen Herrn Breegen in den Kleiderschrank verbannen?
    Breegen traf da etwas Richtiges. Wereschnikow fragte sich tatsächlich nicht, wer dies Appartement bezahlte, oder besser, er rührte nicht daran. Der Zustand, in dem nicht von Geld die Rede war, war gar zu schön. Als er sich neulich nachts unversehens der Frage nicht erwehren konnte, wie Maruscha mit ihrem bescheidenen Job diese außergewöhnliche Wohnung bezahlte, gelang es ihm kaum, wieder einzuschlafen. Mit Grauen sah er dem Tag ins Auge, der kommen würde, wenn über die Miete nicht mehr zu schweigen war.
    Wie sicher Breegen von seinem Ahnungsvermögen geleitet wurde, das trotz seiner Phantasielosigkeit doch noch immer den schwachen Punkt seines Gegenübers entdeckt hatte – er, der Mann ohne schwachen Punkt, ohne Nerven, ohne Herz – aber eben nicht ganz ohne Verstand. Was war von Wereschnikow im schlimmsten Fall zu erwarten, wenn er wie in der französischen Komödie die Schlafzimmertür öffnete und drinnen Maruscha im Bett liegend und Herrn Breegen zwar

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