Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Blutbuchenfest

Das Blutbuchenfest

Titel: Das Blutbuchenfest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Mosebach
Vom Netzwerk:
»draußen an den Fernsehgeräten«, wie das abenteuerlich einst geheißen hatte –, den mußte es geben, und der faßte vielleicht eben schon Mut, »Mensch zu sein«, ein Mensch nach Wereschnikows weitem Herzen.
    Sogar Breegen war auf unbestimmte Weise erregt. Kriege interessierten ihn eigentlich nicht, wo Krieg war, ruhte oft das Immobiliengeschäft für längere Zeit, es ging zwar erfreulich viel kaputt – wo was kaputtgeht, muß wiederaufgebaut werden, und zwar nach neuestem Standard –, aber wer wollte in Kriegszeiten investieren? Obwohl es immer Leute gab, die das große Geschäft im Krieg sahen, lag für Herrn Breegen hier zu viel im ungewissen. Es war auch zu viel Politik im Spiel – beim Bauen zwar grundsätzlich immer, aber die Kommunalpolitik war überschaubar, die hatte er im Griff, die hatte ihn sogar während der betrüblichen Pleitetage nicht hängenlassen.
    Aber den Typus Wereschnikow, den kannte er nicht in seiner Welt: Leute, die da, wo vermeintlich einfach alles sonnenklar war, den Wurm entdeckten – hier eben die Würde, die Würde bei den Katholiken, die Würde bei den Orthodoxen, die Würde bei den Muslimen, bei den Atheisten, bei den Nationalisten – nationale Würde, ein Begriff, der auf dem Balkan die Waffen klirren ließ, und dabei ging es doch nur ums Geld – ging es nicht immer nur ums Geld? Redete der intensiv und leidend formulierende Mann, der nachts neben Maruscha liegen durfte – noch! wie lange noch? –, vielleicht nur steilen Blödsinn? Die Vereinten Nationen – wirklich alle Nationen, so behauptete er jetzt mit dem Ernst eines Mannes, der die Wahrheit und die Macht hinter sich weiß, der über diese Frage mit Kissinger und Boutros Ghali telephoniert hat, der auf der Seite der Durchblicker, der wissenschaftlich fundierten Welterkenntnis steht – versprächen sich von einer Konferenz über den »Begriff der Würde auf dem Balkan« viel, hier lag offenbar ein Schlüssel für die Lösung der drohenden Konflikte.
    Breegen betrachtete Maruscha von der Seite. Sie folgte der Sendung ersichtlich mit Gefallen. Verstand sie alles, was Wereschnikow sagte? Sie lobte es jedenfalls mit kleinen freundlichen Stützlauten, »hmhm« und »genau« und »das sagt er gut« – der Coach war zufrieden –, »Wir haben aber auch gearbeitet – er wollte früher immer viel zu viel und alles auf einmal sagen, aber die Aufnahmekraft ist begrenzt, die Leute« – hier schüttelte sie geradezu bekümmert den Kopf – »können oft einfach nicht folgen.«
    Breegens Aufmerksamkeit glitt von dem Fernsehbild ab. Der riesengroße Kopf des anderen Mannes bedrängte ihn. Er sah sich um. Hatte er Maruscha nicht ein bezauberndes kleines Reich geschaffen? Lichtüberflutet war es hier oben. In die Dachschrägen hatte er Riesenatelierfenster einbauen lassen, und Maruscha hatte eine leichte Hand, ihre Atmosphäre um sich zu verbreiten, ihre Blumen, ihren Duft, ihre hochglanzlackierten Zeitschriften, ihre Schals und bunten Handschuhe – eine Unordnung, die Frau Breegen nie um sich geduldet hätte, manchmal sah es bei Maruscha aus, als sei ihre Reisetasche explodiert, aber die Sachen fielen anmutig herum, so wie die Natur die Blüten auf einer Wiese verstreut. Hier sitzen, in angenehm zerschlagener Verfassung, Maruschas Luft einatmen, warten, daß die Sonne sank – der Sonnenuntergang hier oben war spektakulär – von den Glaswänden der ferneren Hochhäuser schossen gespiegelte Sonnenblitze in das Zimmer –, mehr hätte ein Tag nicht bieten müssen, um als gelungener Tag registriert zu werden. Er bot aber mehr, und überraschend.
    Maruscha fuhr auf. Ihr Gesicht war ganz Lauschen, während das laut gestellte Fernsehinterview noch lief. Es gab ein Geräusch draußen, etwas für Breegen kaum Wahrnehmbares, Wereschnikows Fernsehstimme verschluckte es beinahe ganz. Aber nun ereignete sich eine seltene Zweistimmigkeit: Aus den Tiefen des Korridors rief gleichfalls Wereschnikows Stimme, heiter und unternehmungslustig: »Liebling«, und mischte sich mit der Fernsehstimme – Wereschnikow überall, Zeit und Raum überwindend. Aber war dies denn nicht ein Live-Interview? War nicht eigens davon die Rede gewesen, daß …?
    Jetzt war keine Zeit, um mit Desinformationen und Mißverständnissen zu hadern. Sie waren eingetreten, grausam sich über vermeintliche Gewißheiten hinwegsetzend. Wereschnikow war noch nahe der Eingangstür, denn dort stand das Telephon, und hörte die Anrufe vom Tonband ab;

Weitere Kostenlose Bücher