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Das Blutbuchenfest

Das Blutbuchenfest

Titel: Das Blutbuchenfest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Mosebach
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viel dazu zu sagen gehabt, was sie jetzt vergessen habe. Fabelhaft – natürlich sei er fabelhaft gewesen, was sonst, aber von ihr könne er mehr erwarten als solche pauschalen Anhimmeleien, und sie wisse tatsächlich genau, was er gut mache und was er noch viel besser machen könnte! Aber auf ihren Rat lege er ja keinen Wert – sie frage sich oft, wofür sie eigentlich da sei. Wereschnikow hatte für das »Mißverständnis«, wie er, aus seiner Sicht vollkommen ehrlich, sagte, eine einfache Erklärung, aber unter dem Ansturm der Vorwürfe seiner wundervoll erwärmten, von der Sonne gleichsam erglühten Geliebten verhaspelte er sich. Es ging eine Weile hin und her, geriet in rituelle Bahnen, und schließlich, kurz bevor sie sich zu langweilen begonnen hätte, löste Maruscha den von ihr erfundenen Streit in Gelächter auf. Wereschnikow ging dankbar darauf ein.
    In die Unordnung hinein klingelte es. Wereschnikow öffnete. Es war seine Ivana, die neuerdings auch bei Maruscha putzte. Warum sie geklingelt habe, rief es aus dem Schlafzimmer. Sie habe doch den Schlüssel vom unteren Eingang. Ja, den habe sie, antwortete Ivana, aber unten sei auch mit dem zweiten Schlüssel verriegelt gewesen, da habe sie nicht öffnen können.
    »Was hast du?« fragte Wereschnikow, so gedankenversunken, so tief in Überlegungen ferner fremder Art abgestürzt schien ihm Maruscha. Sie war in einen Zustand geraten, der so gar nicht zu der trivialen Antwort aus der Küche passen wollte, wo Ivana ihre Tasche abstellte und ihre Arbeitsschlappen anzog. Aber es war jetzt wirklich vielerlei und in der richtigen Reihenfolge zu bedenken.
    Und es war zum Erstaunen und hätte eine große Zeugenschaft verdient, wie sich ihr alles zum Bild fügte und wie überlegt sie zur Lösung der Lage schritt. Wereschnikow wurde mit einem Telephonauftrag versehen, der ihn ein Weilchen fesseln würde. Sie habe ihre Handtasche im Restaurant liegenlassen, da müsse gründlich gesucht werden. Sie selbst stand auf und ging im Morgenrock zu Ivana in die Küche. Wie schnell, wie unmißverständlich stellte sie dar, was sofort zu tun sei: Unten sei irgendwo ein Mann – Ivana machte schon Anstalten, den Mund zu öffnen, aber Maruscha erstickte jedes Wort sofort mit einer Handbewegung – ein Freund – aber schweigen! Kein Wort sagen. Hier der Schlüssel. Den Mann rauslassen, ohne ein Wort! Überall suchen. Auch in den Schränken.
    »Im Schrank?«
    Es gab kein Verhören, Maruscha hatte Kroatisch gesprochen, welche Sprache kannte sie nicht? Ivanas kleiner Schrei kam nur gedämpft hier oben an – »War das nicht Ivana?« fragte Wereschnikow und ließ den Hörer sinken.
    »Wie kann es Ivana sein, wenn sie den Müll hinunterbringt«, das war unwiderleglich. Ivana schrie kein zweites Mal. Sie half Herrn Breegen sogar noch in seine Schuhe. Aber Maruscha kam zu dem Schluß, daß sich ein solches Zusammentreffen nicht wiederholen dürfe. Wereschnikow, so unersetzlich er war, durfte sich nicht zu sehr ausbreiten. Ihre erfahrene Freundin, viel älter, in den frivolen Vorkriegsjahren jung gewesen, hatte die Regel formuliert: Wenn du mit zwei Liebhabern nicht zurechtkommst, gibt es nur einen Ausweg – einen dritten Liebhaber. In diese Richtung wollte sie weiterdenken.

Zehntes Kapitel
    Die Erfindung eines Festes
    Die höchste Leistung eines Wirtes besteht ohne Zweifel darin, ein Restaurant von solchem Ruf geschaffen zu haben, daß die Leute selbst dann in Scharen kommen, wenn das Essen mäßig zu werden beginnt, weil das, was auf dem Teller liegt, keine Rolle mehr spielt. Die Gäste, die Merzingers Restaurant eisern die Treue hielten, ließen sich über die allmähliche Dekadenz der Küche nicht täuschen, zumal Merzinger vielversprechend angefangen hatte und in seiner Person durchaus für ordentliches Essen stand, es war halt bloß, wie vieles Gute in der Welt, nicht immer und überall zu haben, wer wollte dem widersprechen. Aber sein Werk bestand nun einmal darin, daß nicht er selbst sich gegen die Vorwürfe enttäuschter Kundschaft zu wappnen hatte, daß vielmehr die Kundschaft gegen Enttäuschung bei ihm wirkungsvoll gewappnet war. Es galt nachgerade als spießig, jedenfalls äußerst unweltläufig, sich über Merzingers pappige Ravioli zu beklagen; den einzigen, den man lustvoll beschimpfen durfte, war Merzinger selbst; die eisernen Habitués nahmen sich hier viel heraus, an Grobheit wurde nicht gespart, nur daß sich keiner schmeicheln durfte, Merzinger jemals

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