Das Blutbuchenfest
Tintenfaß, sondern ins Weich-trocken-Schmeichelnde, gar in der Nase Kitzelnde, wattig-seidig-haarig den Körper Umschließende. Der Schrank war schließlich nicht leer, keiner der vielen Schränke dieses langen Ganges war leer, sondern von oben bis unten angefüllt mit Maruschas Garderobe, und in diesem letzten Schrank hingen ihre Mäntel. Herr Breegen stand in der Schranknacht in ihren dunklen Nerzmantel geschmiegt, auf der anderen Seite drängte sich dickflauschig ein federleichter Kaschmirmantel an ihn heran, den er vor gar nicht langer Zeit selbst gekauft hatte und dessen Vorzüge sich ihm nun unerwartet offenbarten. Luftlos war es in diesem Schrank, wie es in Schränken zu sein pflegt, aber nicht muffig und dumpf. Maruschas Brauch, stets reichlich Parfum auf die Mäntel zu sprühen, zahlte sich aus. Herr Breegen wurde mit Maruschas Geist und Wesen, sofern sie sich in dem sie umgebenden Geruch verkörperten, gleichsam imprägniert, er atmete Maruscha, es war, als trage sie eine weite Krinoline und er sei daruntergeschlüpft, und nun war auch von Vorteil, daß er so kurzgewachsen war, denn er paßte bequem unter die Kleiderstange, ein Wereschnikow hätte sich in diesem Schrank zusammenfalten müssen, und das pflegt, wenn man länger in solcher Stellung ausharrt, weh zu tun. Und um das Ausharren ging es jetzt. Er befand sich in höchst ungewisser Lage. Wann würde Maruscha verstehen, wenn überhaupt, daß er das Haus nicht verlassen hatte?
Wenn sie das nicht wußte und ihn und sich selbst in Sicherheit wähnte, dann hätte seine Gefangenschaft kein absehbares Ende. Er holte sein Telephon hervor. Ein kalter kleiner Lichtstrahl ließ Pelzhärchen erglänzen, als seien sie vom Mond beschienen. Er gab Maruschas Nummer ein – warum war er darauf nicht früher gekommen? Die beklopptesten Bergsteiger schickten ihre Rettungsrufe aus dem Himalaja. Er funkte sein SOS aus dem Wandschrank – nein, das tat er leider nicht: Leuchten konnte das schwarze teure Ding, aber nicht senden, hier im Schrank gab es keinen Empfang. Immer neu drückte er Maruschas Nummer. Er dachte nicht daran, sich mit diesem Versagen zufriedenzugeben, wie er es auch im Büro zu halten pflegte: »Wenn Sie einen Auftrag nicht ausführen können, kommen Sie nie ohne irgendein Ergebnis zurück! Wagen Sie nicht, zu mir mit leeren Händen zu kommen! Finden Sie unbedingt eine Alternative, wenn Sie bei mir bleiben wollen.« Er führte eine Schreckensherrschaft über seine Untergebenen, Ausreden waren verboten, damit erzeugte man Wutanfälle bei ihm. Verglich er sich jetzt mit einem seiner Angestellten, dem es nicht gelang, ein befohlenes Telephonat zu führen? Keineswegs: Das Telephon war der Schuldige, eine Zorneswelle stieg in ihm auf. Er hätte das schwarze Plastikding am liebsten auf den Boden geworfen. Jetzt fiel ihm ein, daß er die Schuhe immer noch nicht angezogen hatte – das Herumtrampeln auf dem unbrauchbaren, wie zum Hohn weiterhin leuchtenden Täfelchen wäre ergebnislos geblieben.
Wann war es zum letzten Mal geglückt, die Schuhe allein anzuziehen? Das war doch noch gar nicht so lange her? Und gelangen in der Not nicht Vorhaben, die ohne Druck aussichtslos schienen? Es war ein Fehler, über solch simple Sachen nachzudenken. Man tat es einfach, und es klappte irgendwie. Herr Breegen bückte sich zwischen den Mänteln, der Nerz öffnete sich, über seine sich hinabbeugenden Wangen und Stirn strich sanft das seidene Innenfutter, es war, als sei es Maruscha selbst, die den Mantel vor ihm öffnete, um ihn an sich heranzulassen, ihr Duft war innen noch stärker, und hier mischte sich auch zarter Kissen- und Matratzenmuff hinein, aber diese an glücklichere, erst kurz zurückliegende Augenblicke gemahnenden Eindrücke hinderten nicht den heftigen Schweißausbruch, der mit dem Hinabbeugen verbunden war. Denn hier stieß er an eine objektive Grenze. Es ging einfach nicht weiter hinab. Der Bauch war weich und betonfest zugleich, die Arme kurz, die Beine zwar auch sehr kurz, aber viel zu lang, um mit den Händen die Füße zu erreichen, und um sich auf den Boden zu setzen und sich die Schuhe wie ein Fünfjähriger anzuziehen – es war fraglich, ob das überhaupt gelang –, war in dem vollgehängten Schrank nicht genügend Platz, schon jetzt klirrten die Metallbügel auf der Stange durch seine Bewegungen aneinander. Wenn jemand draußen vorbeiginge, würde er seltsames Rücken und Rumpeln hinter den Schranktüren vernehmen.
Ja, ginge doch jemand
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