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Das Blutbuchenfest

Das Blutbuchenfest

Titel: Das Blutbuchenfest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Mosebach
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auch das registrierte Maruscha, die, in aller Geschwindigkeit, die Gelassenheit wahrte, Breegens Schuhe aufhob und ihm in die Hand drückte, ihn aus dem Sopha zog und zu der Wendeltreppe schob, die von ihrem Schlafzimmer in den darunter gelegenen Stock mit Küche und Eßzimmer führte. Breegen tappte auf Socken die schwingende Aluminiumtreppe hinab. Als er seinen Kopf angstvoll-sehnsuchtsvoll in ihre Richtung drehte, sah er nur noch ihren Rücken. Sie entfernte sich ruhigen Schrittes und ging, gleichfalls »Liebling« rufend, ihrem Freund entgegen. Die Stimmen verloren sich in den hinteren Räumen, nur das Interview dröhnte zu Breegen in das Eßzimmer mit dem blitzenden Glastisch herunter, zum Glück, dachte Breegen, es würde auch seine Geräusche verschwinden lassen. Die Wohnung war, ohne daß er das so geplant hätte, für solche Situationen wie geschaffen. Mit angehaltenem Atem öffnete er die Eßzimmertür, nur so weit, daß er sich gerade hindurchschieben konnte – er fürchtete ein Türenquietschen –, und es gelang ihm, sie geräuschlos zu schließen, die neuen Schlösser schnappten nicht, sie saugten sich ineinander wie in einem Kuß.
    Jetzt war er in vorläufiger Sicherheit; es galt nur noch, sich durch den dunklen Korridor zu tasten. Durfte er wagen, Licht zu machen? Welche Frage. Es würde doch kein Strahl davon hinauf zu Maruscha und Wereschnikow dringen, aber dieser Gedanke kam ihm nicht. Zum Glück kannte er den Grundriß der Wohnung genau. Am Ende dieses Ganges an einer langen Reihe von Wandschränken vorbei war die zweite Wohnungstür, dann war er in Freiheit. Er befand sich hier in völliger Lautlosigkeit. Was einen Stock über ihm verhandelt wurde, davon bekam er ebensowenig mit, wie wenn er nicht im fünften Stock, sondern im Keller gewesen wäre. Noch ein paar Schritte auf Socken – Socken und Teppichboden, keine Katze hätte sich unhörbarer bewegen können als der raumverdrängende Breegen –, dann war da die Tür. Sollte er sich die Schuhe noch drinnen anziehen oder es wagen, das Treppenhaus unbeschuht zu betreten und dort womöglich kostbare Zeit zu verlieren – wie bekam er, ohne Schuhlöffel, die Schuhe überhaupt wieder an die Füße? Aber diese Überlegung begleitete bereits sein Tasten über die Türfläche. Und da war sie auch schon, die treue Türklinke, an genau der Stelle, an der sie sitzen sollte. Er legte die weiche Hand darauf, die breite vom Vater ererbte Maurerhand, die allerdings niemals einen Backstein angefaßt hatte, und drückte die Klinke hinunter, und die Klinke senkte sich geschmeidig und geölt – aber dabei blieb es auch, die Tür bewegte sich nicht, sie war abgeschlossen.
    Wieso abgeschlossen? Nun, vernünftigerweise, in der Großstadt werden Wohnungstüren eben abgeschlossen. Er selbst hatte Maruscha, wenn er sie abholte, schon öfter mahnen müssen – »Du schließt nicht ab? Wirfst die Tür einfach zu?« –, und sie hatte gelernt. Diese abgeschlossene Tür war eine Frucht seiner Erziehung. Zu anderer Gelegenheit hätte er sich darüber freuen müssen.
    Herr Breegen saß in der Falle. Hier unten war das prachtvolle Badezimmer, dessen Spiegel nicht wie bei der Markies der Selbstkontrolle, sondern der Wollust dienten: Maruscha ringsum und von allen Seiten zugleich zu betrachten, und es gelang ihm dabei ohne Mühe, den eigenen Anblick auszublenden, dabei war das Bild »Die Schöne und der Frosch« nicht ohne Reiz. Wenn Wereschnikow sich jetzt nach getaner Arbeit nur kurz die Hände waschen wollte, würde er auf Herrn Breegen stoßen, der, unversehens ins Licht gerückt, ihm wehrlos entgegenblinzeln mußte. Er fand den Türknopf der Schranktür, die dem Eingang am nächsten lag. Ein Dreieck warmen Lichts fiel auf ihn – die Schränke waren, in einem von Breegen geplanten Haus selbstverständlich, innen beleuchtet, allerdings, wie sinnvoll, nur solange die Tür geöffnet war. Jetzt wäre ein wenig verschwenderische Unvernunft indes willkommen gewesen. Breegen machte einen Schritt in das Honiglicht hinein und zog die Tür hinter sich zu, und sogleich umfing ihn wieder tiefe Dunkelheit. Konnte man Dunkelheit steigern, gab es eine schwärzere als die rabenschwarze Nacht? Im schwarzen Flur sich wie in einem Bergwerk in die Seitenkavernen vorzuwagen, das hieß, dem Sonnenlicht ins Unerreichbare, Lichtimpenetrable entkommen zu sein. Und die Dunkelheit im Schrank war stofflich, die Finsternis materialisierte sich. Aber nicht wie bei einem Sprung ins

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