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Das Blutbuchenfest

Das Blutbuchenfest

Titel: Das Blutbuchenfest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Mosebach
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senkte sich auf die Höhe des Nabels des anderen hinab und stieß nach vorn – eine mühelose, sichere Bewegung, es war, wie wenn ein Meister den Golfball ins Loch weniger schlägt als schiebt. Welche Kraft dieser Stoß hatte, war nur an dem anderen zu sehen: Dessen Gesicht verzerrte sich, er brach zusammen und wälzte sich gekrümmt im grünen Samt.
    »So läuft das bei euch«, Rotzoff hatte sich den in seiner Kräfteökonomie perfekt graziösen Stoß, seinen Telephonaten zum Trotz, doch noch einmal aufmerksam angesehen. »Ich könnte das immer wieder sehen, wie die Sprengung von großen Häusern.«
    Tomislaw hatte ebenfalls zugeschaut: »Bei uns läuft das keineswegs so. Wer bei uns die Mutter beleidigt, wird mit der rostigen Geflügelschere entmannt.« Das war ihr Spiel, wie ich bald begriff. Tomislaw war zugefallen, Rotzoff beständig zu überbieten, und das gelang ihm an diesem Vormittag jedenfalls ohne Anstrengung.
    Was hatte ich an einem Tisch mit Rotzoff zu suchen? Es war nicht immer zu vermeiden, in seiner Nähe Platz zu nehmen, und es verbot sich dann, ostentativ Abstand zu wahren, könnte ich sagen und mich meiner Behutsamkeit im Umgang mit Menschen rühmen. Ehrlicherweise muß ich etwas anderes zugeben. Ich habe meine geradezu abergläubische Beklommenheit ihm gegenüber erwähnt. Ich wünschte, daß er über mich nicht schlechter sprach und dachte als über viele ihm gleichgültige Leute auch – gut kam ja ohnehin keiner bei ihm weg, aber zu dem Kreis derer, denen seine Verfluchungen galten, wollte ich keinesfalls gehören. In diesen Malediktionen lag eine Kraft, das konnte mir niemand ausreden. Und es kam noch etwas hinzu – verblüffend genug, denn meist ist die Angst das am besten versteckte Motiv: Es zog mich manchmal geradezu hin zu ihm, dann lauschte ich seinen Reden wie gebannt. Er weckte in mir eine üblicherweise schlafende Seite, die empfänglich war für sein Bramarbasieren. Ich stand, wenn ich um mich sah, wahrlich nicht allein. Wer sich nicht zu unverbrüchlicher Rotzoff-Feindschaft durchgerungen hatte – das waren dann doch meist nur die Wirte, da siegte die ökonomische Vernunft schließlich über die Faszination –, der hing an seinen Lippen, amüsiert und sich bei anderer Gelegenheit dafür entschuldigend, als sei man an fatalem Ort gesehen worden.
    Aber heute kam ich zu kurz. Rotzoffs Part war nur ein Stichwortgeben für den rastlos mit sich selbst beschäftigten kleinen Kerl. Es ist ein Irrtum, daß Leute, die sich ausschließlich für sich selbst interessieren, deswegen langweilen müssen. Es gibt einen schlaffen Egoismus, der anwidert. Aber ein erobernder, ein imperialer Egoismus findet sein hingerissenes Publikum, das bei allen Zumutungen lustvoll aufseufzt, eine Weile jedenfalls. Der kleine Tomislaw wachte vermutlich jeden Morgen überwältigt vor Staunen auf, daß etwas so Vortreffliches, Gewinnendes, Begabtes und Männliches wie er auf Erden zu finden sei. Es war, als prassele in seinem Innern stets ein Feuer. Er war immer heftig, selbst von heftiger Schläfrigkeit, wie für die ganz kleinen, nur mit dem Selbsterhalt beschäftigten Kinder der Schlaf eine Arbeit ist, die ihre Wangen glühen läßt. Wenn man ihm zuhörte, glaubte man, das einzige Thema, das Aufmerksamkeit verdiene, sei Mann und Frau, oder besser Männlichkeit und Weiblichkeit; Politik, Sport, Kunst – er sah sich als Dichter – waren höchstens Derivate des Generalthemas, das wiederum auf eine Grundannahme zu reduzieren war: Männlich war er, weiblich der Rest der Welt, dazu berufen, von ihm penetriert zu werden. Deshalb hätte ihm der Stoß des Kahlkopfes in die Magengrube des Lästerers eigentlich sympathisch sein müssen, aber er wollte, wie einst der Kaiser von China, der nur von Frauen und Eunuchen umgeben war, gern der einzige Mann auf Erden sein.
    Rotzoff kam etwas in den Sinn: Es wäre doch geraten, dem Kleinen zu zeigen, wo seine Grenzen lagen. Die große Schöne – ihre Augen hatten in engelhaftem, die Menschheit mit Liebe umfassenden Blick auch auf Tomi geruht – hatte Rotzoff gestanden, sein junger Freund habe neulich nächtens bei ihr angerufen und ein augenblickliches Treffen vorgeschlagen, oder besser, eingefordert – Rotzoff wisse Bescheid und sei einverstanden. Das hätte bei der von Rotzoff stets hervorgehobenen Gefügigkeit seiner Geliebten doch ausreichen müssen, um sie augenblicklich in Bewegung zu bringen? Vielleicht wirklich, aber nachfragen wollte sie dennoch – allein

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