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Das Blutbuchenfest

Das Blutbuchenfest

Titel: Das Blutbuchenfest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Mosebach
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sich niemals in allen Beziehungen auf der gleichen Stufe der Entwicklung befindet, ragte auch in mein jetziges Leben ein letzter kahler Ast aus den vorigen, in Passivität und Stagnation verbrachten Jahren hinein.
    Ich hatte meinen Halbtagsjob in der Galerie Guggisheim noch nicht aufgegeben, wo ich am Catalogue raisonné eines zweitrangigen Neue-Sachlichkeit-Meisters arbeitete, den Guggisheim groß herausbringen wollte, er hatte den Erben der Witwe den Nachlaß für einen bescheidenen Betrag abgeschwatzt. Guggisheim betrieb sein Geschäft vor allem von der Schweiz aus. Die deutsche Galerie hatte gewiß eine Funktion – damit durfte man bei Guggisheim rechnen –, aber die war mir unbekannt, wie die meisten Räume des Geschäftslokals, die ich nie betrat. Ich saß im Ausstellungsraum an einem Schreibtisch und empfing neben meinen Recherchen gelegentlich auch einen Besucher, aber Guggisheim war mißtrauisch und verwandte Energie und List darauf, daß eine Hilfskraft wie ich ihm nicht in die Kartei guckte. Dachte er daran, daß ihm junge Angestellte mit den Daten dieser kostbaren Kundenkartei davongelaufen waren? Hatte er vielleicht selbst seine Laufbahn so begonnen? Ein kühler Mensch, auf Abstand bedacht, sehr elegant, nicht vorteilhaft anzusehen, wie ein zarter rosiger Frosch – alles, was ich über seine persönlichen Verhältnisse erfuhr, war, daß er einstmals seine auffällig hübsche Ehefrau einem wichtigen Sammler zugleich mit einigen großen Bildern, in einem Los quasi, verkauft habe. Seltsam an dieser Vorstellung war nur, daß er überhaupt verheiratet gewesen sein sollte, so solitär und hermaphroditisch vollkommen und selbstgenügsam wirkte er auf mich.
    Und nun war er wieder einmal verreist, und ich saß in der Ausstellungshalle inmitten einer École-de-Paris-Accrochage und war müßig und überließ mich Gedankenspielereien. Guggisheim war in großer Eile aufgebrochen. Er hatte mir einen Schlüsselbund auf den Tisch gelegt, der mehr als die Hausschlüssel enthielt. Es war ungehörig, was ich tat, aber nicht ausdrücklich verboten, und man soll außerdem niemandem Schlüssel übergeben, wenn man verhindern will, daß er sie ins Schloß steckt. Guggisheims Büro interessierte mich nicht. Das hatte ich oft genug betreten. Aber da waren auch andere Türen im Hintergrund. Und ich mußte nicht den ganzen Bund durchprobieren; schon der erste Schlüssel paßte. Die Tür öffnete sich, und ich stand, nachdem ich Licht gemacht hatte, unversehens vor einem Kalb.
    Ja, es war wirklich, als sei ich einem lebendigen Kalb gegenübergetreten, obwohl das Gemälde höchstens zwei Meter breit war und das Kalb höchstens ein Fünftel der Lebensgröße seines Modells hatte. Ein schwarz-weißes Kalb auf saftig grüner Wiese und vor ultramarinblauem Himmel. Schwer; das Kälberfell in köstlich nahrhafte Farbpasten übersetzt. Warm schnaubend, das rosige Maul von gesundem Speichel triefend, die Augen unergründlich seelenvoll, ein vollendetes Geschöpf in seiner jugendlichen Struppigkeit, dem in Wirbeln gewachsenen, noch langhaarigen Kälberfell. Die Erde war gut, die solche Geschöpfe trug. Es ging eine Woge von Glück von diesem Bild aus, das in dem kleinen fensterlosen Raum auf mich gewartet hatte. Rechts neben dem Hinterhuf stand mit großen Buchstaben, sienarot im Wiesengrün, die Malersignatur, kein Fall für Fachleute, auch ohne den Namenszug hätte ich sofort Courbet gesagt.
    Ich war beinahe verrückt vor Entdeckerfreude. Mir war, als hätte ich Courbets Kalb nicht in Guggisheims Geheimkabinett, sondern herrenlos auf einer Taunuswiese gefunden; so etwas gab es also. Die Zeiten, in denen das Außergewöhnliche sich den Händen, es zu ergreifen, darbot, waren nicht vorbei. Ein gänzlich unideologischer, aus natürlichem Impuls lebender Kunstkommunismus erfüllte mich. Dies Kalb war dazu geboren und gemalt, um der ganzen Welt zu gehören. Zugleich war sein verborgener Aufenthalt, der es den Blicken entzog, aber auch eine Verheißung. Guggisheims Kämmerchen war wie eine im Gebirge tief verlaufende Goldmine.
    Ich rief Winnie an und teilte mit ihr meine Freude, mein Außer-mir-Sein; sie freute sich, weil ich mich freute, kam, obwohl es eine Regennacht war, noch herbei, ich ließ sie über den Hofeingang herein, und sie stand mit mir vor dem Kalb und sah mich, während ich sprach und ihr das Außergewöhnliche deutlich zu machen versuchte, lächelnd an, amüsiert vermutlich über meinen Eifer, aber nicht ironisch, Gott

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