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Das Blutbuchenfest

Das Blutbuchenfest

Titel: Das Blutbuchenfest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Mosebach
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behüte, eine ihr unmögliche Empfindung. Es gehörte zu den besonderen Geschenken dieser Zeit, daß ich diesen Augenblick mit Winnie teilen durfte, soweit das möglich war bei ihrer grundsätzlichen Ferne von Kälbern, von Kunst und von Courbet.
    Wäre es dabei geblieben, hätte Guggisheim es vielleicht bei einer Verwarnung belassen. Aber meine Zeit bei ihm war ohnehin abgelaufen. Die Fatalität, mit der sie dann endete, lasse ich beiseite. Es bleibt, daß ich diese Injektion von Mut, Glück, Schwung in meinen ersten Wochen mit Winnie empfangen habe, daß sich mein Lebensgefühl steigerte, der Blutdruck anstieg, die Gedanken sich mit Plänen, Phantasien und Träumen füllten. Der Schmetterling, die Libelle war doch eigentlich sie, aber ich fühlte mich, als sei ich es, der den Zustand der Verpuppung überwunden hatte.
    Und obwohl mir diese Zeit mit Winnie als großes und nachhaltiges Kapitel meines Lebens erscheinen will, ein Kapitel, das gewiß noch lange nicht abgeschlossen ist, muß ich mir doch eingestehen, daß es zu gemeinsamen Gewohnheiten, einer Liebesroutine im schönsten Sinn – unglücklich, wer nie die sanfte Glut kennengelernt hat, mit der erotische Gewohnheit den Alltag erwärmt –, daß es dazu zwischen uns niemals gekommen ist. Winnie auf irgendeine Art von Beständigkeit festzunageln, wäre nicht nur sinnlos, sondern auch grausam gewesen. Liebevoll, wie sie war, hätte sie solchen Wünschen womöglich zu entsprechen gesucht und sich damit eine schon auf kürzere Sicht vergebliche Gewalt angetan.
    Ich glaube, mich auf den Eindruck verlassen zu dürfen, daß sie gern, von Herzen gern mit mir zusammen war, aber bitte nicht auf Verabredung hin. Sie kam zu mir wie ein Vogel, der einen großen Baum in seinem Revier bevorzugt besucht und in seinen Zweigen herumhüpft, aber nicht darin nistet. Der Baum war ich – war das kein schmeichelhaftes Bild? Fest wurzelnd, hochgewachsen, mit breiter Krone? Ja, das wäre schön gewesen. Und das Zufällige, das unsere Zusammentreffen auszeichnete, war nicht zugleich das Seltene. Winnie war oft bei mir, als sei es das natürlichste für sie, bei mir zu sein. Dies war eine Liebe ohne Werbung, ohne Balz, ohne Psychologie, ohne soziologische Aspekte, ohne Machtkämpfe, ohne Überdruß. Es kam mir vor, als sei ich der erste Mann und sie die erste Frau. Eines der schönsten, mich stets mit Sehnsucht erfüllenden Palindrome heißt: »Madam I’m Adam«, das erste Wort zwischen dem ersten Menschenpaar, das alle Konsequenzen in sich trug. Wenn Natürlichkeit, Unbelastetheit, Fraglosigkeit, Gedankenlosigkeit in der herrlichsten Bedeutung, die man sich ausmalen möchte, Abzeichen glücklicher physischer Liebe sein sollen – wo wäre dann in unserer Zeitgenossenschaft das Glück, und wo versteckte sich wohl die Natur?
    Wenn Winnie bei mir eintrat, war sie stets mit ihren Erlebnissen beschäftigt, sprudelnd erzählend, als liege jede Möglichkeit, sich bald schon in einer Umarmung zu befinden, denkbar fern. Während sie sprach und sich eine Zigarette nach der anderen anzündete – der Rauch ging mit ihrem Atem und Speichel eine köstliche Verbindung ein –, betrachtete ich, wie das Hemdchen, das sie trug, an ihrem Körper herunterfiel, die Taille lose umspielend und verschleiernd – das klopfte in der Hand und zog, dort hinzugreifen, den Stoff zusammenzudrücken und den warmen Körper zu ertasten. Wie lüstern das im nachhinein klingt, und wie wenig lüstern wurde es durch sie. In ihrer Gegenwart gab es nur unschuldige Heiterkeit. Die bläuliche lange Narbe hatte inzwischen jeden Aspekt des Unheimlichen und Erschreckenden verloren. Ich war verliebt in sie und betastete sie mit den Fingerspitzen. Wenn Winnie neben mir lag und sanft dahinplauderte – ich vergaß meist sofort, was sie sagte –, spielte sie gern mit dem Haarbusch unter meinem Nabel. Sie fuhr mit ihren zarten Fingern hindurch und drehte Löckchen darin, als wolle sie ihm die Frisur eines griechischen Marmorgottes verpassen, eine Beschäftigung, die kein Ziel hatte, denn das Gekräusel löste sich alsbald wieder auf. Etwas um die Finger zu wickeln war ihr kleiner Tick. Auch wenn wir uns wieder anzogen, wickelte sie das Taschentuch, das sie mir in die Brusttasche steckte, auf eine lässig asymmetrische Weise um ihre Finger, die es wie achtlos zusammengeknüllt erscheinen ließ. Ich sehe uns daliegen, bei offenem Fenster, der Regen rauscht in der Nacht, der Baum draußen bietet den Tropfen die tausend

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