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Das Blutbuchenfest

Das Blutbuchenfest

Titel: Das Blutbuchenfest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Mosebach
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ich denn mit der wolle, das sei doch keine Frau.
    Es gibt eine Phase der Verliebtheit, die sich gerade aus der Verständnislosigkeit der Umgebung zu ernähren scheint. Wenn alle drumherum zu wissen glauben, wer zueinander passe und wer nicht, kann das bei dem Liebespaar Feste der Überlegenheit auslösen. Niemand vermag in Wahrheit zu ahnen, was genau die beiden aneinander gefunden haben, denn niemand ist in den entscheidenden Augenblicken dabei.
    Und nun gelang mir alles, was so lange gestockt hatte. Es war unversehens möglich, die größere der beiden Eigentumswohnungen, die meine sparsamen Eltern mir hinterlassen haben, sehr teuer zu verkaufen; bis eben noch wurde diese Wohnung von Maklern und Interessenten gemieden, als hätten sie Schwamm in den Mauern entdeckt. Selbst nach Abzahlung aller Bankschulden schwamm ich auf einmal in Geld, ein gänzlich unvertrautes Gefühl – nur für meine Verhältnisse, muß ich hinzufügen, war das viel, als Kunsthändler in spe durfte ich nicht den Sinn für Proportionen verlieren, »Geld« war etwas anderes, das lernte ich bei Wereschnikow. Und der Einstieg bei Wereschnikow wurde durch mein Kapital auch erst möglich. Wereschnikow hörte nie auf, die Chancen auf seinen »beträchtlichen Gewinn« – beträchtlich, sein Lieblingswort – als durchaus »real« zu bezeichnen. Erst einmal war aber eigener Einsatz verlangt, von mir wohlgemerkt; auf ihm lag die Last der gesamten Programm-Konzeption, der Großplanung des Kongresses, des Verfassens von Exposés – gehaßte Knechtsarbeit –, des Herstellens der weltweiten Verbindungen zu den großen Köpfen, sämtlich intime Freunde Wereschnikows; dies Adreßbuch war sein Kapital, wer so etwas nicht besaß, mußte eben Bares hinlegen – »Münzklingeling«, wie er, überraschend zu onomatopoetischen Scherzen aufgelegt, hinzufügte.
    Da konnte ich jetzt mithalten, ich konnte als Verkünder von Mestrovic nach Shanghai und Bosnien reisen, konnte mir souverän selbst ein Bild von der gesamten Affaire machen und meine Erfahrungen in die große Vorbereitung der Ausstellung einbringen. Daß Geld nicht alles sei, das ist eine gern nachgeplapperte Weisheit, aber wieviel es verändern kann, wie es das Leben aufzupulvern vermag, welche Leichtigkeit es verleiht, das erlebte ich jetzt.
    Geld ist ein geistiger Faktor; aus einer dahindümpelnden Archivexistenz unter Depressionsniveau stieg ich in die Höhe, und der Wind unter meinen Flügeln war Geld. Der Glanz, mit dem Venus ihre Lieblinge übergießt, um sie unwiderstehlich zu machen, dieser Glanz kam bei mir unmittelbar durch diesen Geldsegen, den Geldregen zustande, den ich denn auch erst einmal auf dem großen Haufen zusammenließ, um die Fülle noch ein wenig zu genießen und sich nicht gleich wieder in unzugänglichen Anlagen verflüchtigen zu lassen. Auf mir lag ein hauchdünner Goldstaub. Winnie hatte sein Glitzern gesehen. Ich war liebenswert – ein vielsagendes Wort – wer ist schon wert, geliebt zu werden? Ist es nicht die Liebe, die diesen Wert erst schafft? Aber bedarf die Initialzündung nicht doch eines noch so kleinen Anstoßes aus der Sphäre der Objektivität? In mir saß genügend kleinbürgerliche Ängstlichkeit, um nicht manchmal die stille Frage aufkommen zu lassen, ob die vielen Geldscheine nicht eine Scheinblüte bei mir hervorgelockt hatten, aber dann sah ich Winnie wieder in ihrer Sorglosigkeit, die angesichts ihrer Zerbrechlichkeit doppelt rührend war, und die kleinlichen Bedenken flogen davon.
    »Die Reisen müssen Sie vorschießen, das wird später abgerechnet und eingereicht – Reisen kostet ja nichts mehr – jeder Prolet reist – mein Gott, ich habe das Reisen noch als Kunstform erlebt, mit den letzten Paquebots über den Atlantik, entzückende alte Hotels voll hochkultivierter Engländer und womöglich noch hochkultivierterer Ostküstenaristokraten – alles dahin, alles kaputt«, so bereitete Wereschnikow mich auf meine Tätigkeit vor. Ich hing an seinen Lippen und war dennoch davon überzeugt, daß die Magie des Reisens nicht vollständig aufgezehrt sei, auch für mich würde etwas übrig sein; so falsch war diese Vermutung, wie ich bald erfahren sollte, auch gar nicht. Die Wunder warteten gelegentlich sogar in der Nähe, manchmal brauchte man nur eine Tür zu öffnen.
    Dies kam jetzt nämlich noch hinzu: eine Erscheinung, die mir, glücksbereit, wie ich war, einen Glücksstoß versetzte. Wie im politisch-historischen Zustand eines Volkes, das

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