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Das Blutbuchenfest

Das Blutbuchenfest

Titel: Das Blutbuchenfest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Mosebach
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Trommelfelle seiner Blätter, wie von zarten kühlen Fingerspitzen angetippt.
    Diese Nacht, die in meiner Erinnerung für alle steht, war übrigens die einzige, die sie bei mir verbrachte. Mitten in der um sie herumgewobenen Zeitlosigkeit fuhr sonst stets plötzlich eine Unruhe in sie und ließ sie sich aufrichten. Sie müsse jetzt gehen. Geschah das, um weiteren Umarmungen, vor allem einer morgendlichen, zu entfliehen? Der Gedanke kam mir nach der bewußten Regennacht, als ich erwachend sie schon völlig angezogen sah, mit Teekanne an mein Bett tretend, da mußte mein Bedauern schweigen, Tee am Bett, das war doch eine fraglos liebevolle Geste. Denn von meiner Gesellschaft hatte sie wohl nicht genug. Kaum war sie zu Hause, begannen wir zu telephonieren.
    Diese langen Gespräche im Dunkel, ich jedenfalls machte nie Licht dabei, und sie versicherte mir, daß sie es ebenso halte. Hört man einer Stimme an, daß sie aus dem Dunkeln spricht? Dämpft man im Dunkeln nicht unwillkürlich die Lautstärke, ist lautes Sprechen im Dunkeln nicht etwas geradezu Widernatürliches? Zur Höhlennacht gehört das Flüstern, als schlafe alles ringsum und dürfe nicht geweckt werden. Und dabei lagen wir, die wir uns eben noch in den Armen gehalten hatten, jeder für sich allein, aber eben nicht, um besser zu schlafen, nein, wach wollten wir durchaus bleiben, nur nicht im selben Bett.
    Winnie war immer gesprächig, aber nie so wie am Telephon. Erst das Telephon eröffnete den Redefluß ungehemmt, wobei sie nicht restlos monologisch veranlagt war, sie forderte kleines zustimmendes oder fragendes Gebrumm am anderen Ende, und sie hörte mich auch gern etwas sagen, nicht um näher darauf einzugehen, sondern um sich in solchen Pausen zu neuen Gedanken anregen zu lassen. Da war kein öder oder inhaltsloser Augenblick, selbst wenn wir mitunter, uns selbst überraschend, ein Weilchen schwiegen und nachdenklich in die kosmische Nacht hineinlauschten. Und man möge bloß kein Zeichen der Überheblichkeit darin sehen, daß ich nur wenig von dem, was sie bei solchen Gelegenheiten sagte, wiedergeben könnte. Ich übertreibe nicht, wenn ich behaupte, daß ich ihr atemlos zuhörte. Es war in seinem Eifer ein konsumierendes Lauschen, das Gehörte wurde augenblicklich aufgezehrt. Wir lachten oft, aber meist leise, das schöne Wort »stillvergnügt« traf die Stimmung vollkommen.
    Sie hatte viel Sinn für komische Situationen, selbst wenn sie sich zum eigenen Nachteil wandten. Das einzigartige Pech, das an allen Unternehmungen der Werbeagentur klebte, in der sie vor ihrer Stelle bei Frau Markies beschäftigt war, tat ihr in der Seele weh. Der Mann, der das Unglück an sich zog, besaß offenbar ihre ganz besondere Sympathie. Sie sprach die wärmsten Worte über ihn und bewunderte ihn, wie es schien. Es wäre geradezu zum Eifersüchtigwerden gewesen, wenn die Vertraulichkeit, in die sie mich einspann, solche niedrigen Empfindungen erlaubt hätte.
    Von dem Mißgeschick dieses Mannes ist mir eines tatsächlich im Gedächtnis geblieben, weil es sich in seiner Buntfarbigkeit aus unseren Notturnos heraushob. Buntfarbig in unübertrefflichem Ausmaß waren die kleinen Werbefilme gewesen, die er im Auftrag des mexikanischen Tourismusbüros entweder produziert oder angekauft hatte, das blieb unklar. Bunte Indianer, bunte Eselskarren, bunte Prozessionen, bunte Blumen in Überfülle, dazu eine aufgekratzt bunt-launige Musik, die in die Glieder fuhr, Mexiko stellte sich als die reinste Vitalitätsinjektion dar, ein Land der ewigen Heiterkeit. Daß in der Woche, in der dieser Film über alle Bildschirme der deutschen Flughäfen laufen sollte, der Bürgerkrieg der Rauschgiftbosse in der unseligen Republik einem neuen Höhepunkt entgegenstrebte, war nicht die Schuld von Winnies hochbegabtem Chef, aber daß unter dem zapplig vergnügten Werbefilm die laufende Unterschrift lief, die von dreiundzwanzig Toten bei einem Massaker in Mexico Ciudad und der Warnung des Außenministeriums vor Reisen dorthin sprach, das hätte er nach Ansicht seiner Klienten vorhersehen und verhindern müssen. Für die Werbeagentur war der Streit die finale Katastrophe.
    Winnie versuchte, ihre Betrübtheit darüber nicht zu kurz kommen zu lassen, aber das groteske Bild aus gleichzeitiger Anziehung und Abstoßung war stärker. Sie wollte weinen, aber sie mußte lachen. Sie war durch die eigenen Interessen, in dieser Agentur hatte sie wohl sehr gern gearbeitet, nicht zu korrumpieren. Das erzählte sie

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