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Das Blutbuchenfest

Das Blutbuchenfest

Titel: Das Blutbuchenfest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Mosebach
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deutlich unterschied. Jungsein war etwas qualitativ anderes als Altsein – dazwischen lagen keine graduellen Abstufungen, in beiden Zuständen galten grundsätzlich andere Gesetze, andere Denkungsweisen und andere Erlebnisformen.
    Mit meinen Dogentestamenten hatte ich mich in einer Welt bewegt, die zwanzigjährige Feldherren, Kardinäle und Witwen kannte. Ich hatte sehr absichtsvoll mit dem Rücken zu meiner Generation gelebt; was Jugendkultur oder gar Jugendsubkultur genannt wurde, war mir stets verächtlich gewesen. Ich sah darin eine Art Jugend-Gnosis, die im Nichts-Kennen und Nichts-Wissen ein Recht auf Besser-Wissen und überhaupt Besser-Sein vermutete. Jetzt empfand ich meinen Trotz als ältlich. Gewiß erleichterte es mein Umdenken, daß Winnies Jungsein ohne dreiste Ansprüche daherkam. Sie gehörte ihrer Generation vollständig an, ohne darin einen Vorzug oder Rechte zu erblicken. Sie war sich ihres Jungseins gar nicht bewußt, und deshalb nahm sie, so stellte ich mir das vor, auch nicht richtig wahr, daß ich so viel älter war, obwohl sie, man erinnere sich an »Dunkelplau«, gewisse Stilunterschiede durchaus bemerkte. Ich sagte mir, daß es ihre Weltläufigkeit sei, was ihr den Umgang mit einem Mann, der nicht ihrer Jugendsphäre entstammte, als etwas Selbstverständliches erscheinen ließ. Wo hatte sie nicht schon überall gelebt, in welchen Milieus hatte sie sich nicht aufgehalten. Und in ihrem Hintergrund die königinnenhaft verwirrte alte Frau auf ihrem Prunkbett wie im Harem Sardanapals, die mich sofort bezauberte – und das war wichtig, denn Winnie liebte sie zärtlich, obwohl sie sich von Beate Colisées Urteil, so unvorhersehbar es sich aus dem Chaos ihrer Gedanken gelegentlich ans Licht schlängelte, nicht immer beeindrucken lassen wollte. Sosehr mich die Tante durch ihre Art zu sein gewonnen hatte, so skeptisch blieb sie mir gegenüber.
    »Der Mann hat einen schönen Mantel an«, sagte sie, als ich aus dem Zimmer ging, »aber er ist nicht so schön wie sein Mantel. In Berlin damals gab es auch solch einen jungen Mann mit schönem Mantel – aber reden wir nicht drüber, das war nichts Erfreuliches.« Winnie erzählte mir dieses Apropos strahlend, als habe Beate Colisée mir ein schmeichelhaftes Kompliment gemacht – »mehr werden wir nie aus ihr herausholen, und das war schon viel«. Sie sah es als gutes Zeichen an, daß die Tante sich überhaupt geäußert hatte und sogar noch bis zu Jugenderinnerungen vorgestoßen war. Bei alten Leuten, die das Gedächtnis verlieren, bleiben angeblich die Bilder aus den frühen Jahren noch länger haften – bei Tante Beate nicht, es mochte auch an ihrer alten Neigung zu rücksichtsloser Redaktion liegen. Alles, was sie nicht mehr unmittelbar betraf, hatte sie weggeschoben. Leider verfuhr sie mit ihren angehäuften Besitztümern, die in der Schweiz die »Fahrhabe« heißen, nicht ähnlich rabiat. Ein wichtiges Argument für ein Leben in Armut wäre es, den Nachkommen das schauderhafte Erlebnis einer Haushaltsauflösung mit Hunderten von Schuhen, Medikamenten, Schallplatten, Photos und anderem durch die Jahrzehnte geschlepptem Zeug zu ersparen, wenn es nicht gerade die Armen wären, die so viele Lebenshilfsstoffe ansammelten; die Reichen reisen nur mit ihren Platinkärtchen ohne Gepäck von Hotel zu Hotel.
    Hotels waren, wie man weiß, auch eine Liebe von Beate Colisée, eine unerwiderte freilich, sie war soeben nach kurzem Aufenthalt in einem Hotel im Taunus wieder heimgekehrt. Winnie hoffte, daß der Tante die Reiselust jetzt endgültig vergangen sei. Auch was Frau Markies sagte, als sie durch meine Anrufe in der Agentur schnell entdeckte, daß Winnie in irgendwelche Männerhände geraten sein müsse, bekam ich zu hören. Es war gleichfalls nicht wirklich günstig. Inge Markies hätte es, so sagte sie, besser gefunden, wenn Winnie sich einen »netten Jungen in ihrem Alter« als Freund genommen hätte – bei Typen wie mir, die in diesem Alter noch frei seien, gebe es immer etwas Ungutes, Perverses zu befürchten – »und bei dem Kerl zumal, sonst hätte ihn Wereschnikow nicht engagiert«.
    Wie übermütig Winnie über diesen Kommentar lachen konnte! Da nahm ich ihn selbst gleich nicht mehr so ernst. Ivana war ebenfalls nicht einverstanden, ergriff aber keine Partei. Sie mochte Winnie ohnehin nicht – Frauen, das war immer schwierig –, aber als sie mitbekam, daß Winnie einmal bei mir übernachtet hatte, fragte sie verächtlich lächelnd: Was

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