Das Blutbuchenfest
wachsende Unruhe in Ivanas bosnisch-herzegowinischer Heimat ließen ihr Leben geselliger werden als noch vor kurzem. Vorbei war die Zeit, in der sie sich früh ins Bett legte und so lange Fernsehen guckte, bis sie einschlief – das ging schnell; je mehr der Regisseur auf atemlose Spannung gesetzt hatte, um so müheloser fielen ihr die Augen zu, Schußwechsel wirkten geradezu sedativ auf sie, und sie erwachte nur noch einmal, wenn ihr Mann schließlich ins Bett kam, vor allem, um an seinem Atem zu riechen, ob er Schnaps getrunken habe. In der spröden und schlaftrunkenen Ivana erwachte eine Neigung zur Schauspielerei, mit der sie ihren Abscheu vor der Schnapsfahne darstellte. Aber jetzt war es vorbei mit Stipos Zurückhaltung gegenüber dem Slivovic, und Ivana konnte und wollte ihn auch nicht mehr zurechtweisen, denn sie waren kaum einen Abend mehr allein, und vor anderen hätte sie sich niemals mit ihrem Mann gestritten, das ging gegen die Ehre des Hauses. Dessen Mauern, und wenn sie auch nur aus der Sperrholztür in ihrem Souterrain-Zimmer bestanden, hatten undurchdringlich zu sein für Blicke von außen. Und fremde Augen waren jetzt beständig zugegen.
In der ganzen Stadt fanden sich die feindlichen Parteien zusammen. Bei meinem serbischen Schuster sprach ich mit einem kleinen dicken Mann, der seines Zorns nicht Herr wurde. Er besitze ein Haus in Split in Dalmatien, und wenn die Kroaten es wagten, sich dem auch nur zu nähern, dann werde er sie alle umbringen, er sei ausreichend bewaffnet. Mitten in Frankfurt vom massenhaften Umbringen zu hören, während die Schleifmaschine des Schusters surrte und draußen alte Damen ihre Hunde spazierenführten, kam mir so geprahlt vor wie aus dem Munde des Miles gloriosus, aber Ivana, der ich davon amüsiert erzählte, sagte sehr ruhig, nein, nein, das sei ernst gemeint. Vor der evangelischen Christuskirche, in deren Seitenschiff eine serbische Kapelle eingerichtet worden war, standen jetzt sonntags die Lastwagen, die Spenden der Frankfurter Serben an die Front beförderten. Hünenhafte Männer mit Bärten und grauen Mützen, auf denen der byzantinisch-serbische Doppeladler silbern prangte, brachten einen Hauch von Miliz in das sonntäglich schlafende Wohnviertel. Ivana bewohnte damals mit Stipo ein Zimmer im Souterrain eines großen älteren Mietshauses, die Nachbarzimmer waren an ihre Schwester und eine Cousine vermietet, zu gesalzenen Preisen, mit denen die Vermieter den unklaren Rechtsstatus ihrer Mieter ausnutzten. Ich habe nie herausbekommen, ob Ivana nun eigentlich eine Arbeitsgenehmigung hatte oder nicht, obwohl sie mir einmal in höchster Aufgebrachtheit ihre Antwort auf Frau Breegens Frage nach ihrer Steuerkarte wiedergab: Sie griff sich zwischen die Beine und rief, ihren Dialog mit Frau Breegen mehr als vergegenwärtigend, in kämpferischer Schärfe aus: »Das ist das einzige, was du in Frankfurt ohne Arbeitsgenehmigung arbeiten kannst!«, womit das Vorhandensein einer Lohnsteuerkarte freilich noch nicht geklärt war, und es wurde wohl auch nie geklärt. In den drei halb unterirdischen Zimmern der Mestrovic-Sippe – Stipos Familie fiel nicht ins Gewicht, er hatte sich durch seine Heirat dem stärkeren Clan angeschlossen, ein mit mäßiger Freundlichkeit geduldeter Hintersasse – tummelten sich jetzt oft mehr als zwanzig Menschen. Der Krieg veranlaßte nicht nur Fluchten, sondern auch ein Reisen zwischen seinen Schauplätzen und den Stützpunkten im Ausland, von denen Subsidien zu erwarten waren. Wenn ich Ivana richtig verstand, gab es einen regelrechten Kriegs-Wochenend-Tourismus. Man reiste zu den Kämpfen und man floh vor den Kämpfen in Pendelbewegungen.
Eines Abends wollte ich Ivana meine Schlüssel bringen, weil ich verreiste. Ihre Tür blieb mir verschlossen, obwohl ich lang klingelte. Ich ging ums Haus herum und fand die drei Fenster des Souterrains dicht beschlagen. Auf den Fensterbänken standen Flaschen, die in der leicht frostigen Nacht gekühlt wurden, und dann gelang mir schließlich ein Blick durch einen nichtbeschlagenen Winkel. Im gleißenden Neonlicht standen viele Männer zusammen, in schwarzen T-Shirts und Jeans, die Haare kurzgeschoren, und redeten heftig aufeinander ein, während ein Fernseher lief und laute Musik aus dem Nachbarzimmer drang. Dies Zusammenstehen war wie eine Verschwörung, wie die Verabredung und Beratung vor gemeinsamem Aufbruch zu einer gefährlichen Unternehmung. Jetzt erkannte ich Stipos charakteristisches Profil, die
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