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Das Blutbuchenfest

Das Blutbuchenfest

Titel: Das Blutbuchenfest Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Mosebach
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frühzeitig klar geworden, ohne daß sie deshalb die Kraft gefunden hätten auseinanderzugehen. Frau Colisée war schon sehr bald zu solchen Entschlüssen, zu einer Kündigung, einem Hinauswurf, was sie früher kaltblütig beherrscht hatte, nicht mehr in der Lage. Es war, als hätte es in ihrem Leben nie die vielen verheulten Nähmädchen und Directricen gegeben, denen sie nach einer einzigen Verwarnung die Tür gewiesen hatte. So etwas war inzwischen undenkbar, weil sich die Gedanken und Energien, die zu solcher Entlassung erforderlich gewesen wären, nicht mehr bündeln ließen. Sie hatten dadurch ihre Stoßkraft verloren. Frau Colisée sah sich dabei zu, wie sie das als notwendig Empfundene nicht mehr tat. Sie konnte sich darüber eine Zeitlang mehr aufregen als über die Unfähigkeit und den Ungehorsam der anderen; dann entglitt auch diese Perspektive.
    Aber schon als sie Ivana gerade erst eingestellt hatte, waren ihr die kraftvoll-heftigen Bewegungen, mit denen die junge Frau wischte und fegte, zuwider gewesen. Sie sah in Ivana zuviel blinde Gewalt am Werk, zuwenig Durchdenken der Aufgabe: auf welche Weise man mit dem kleinstmöglichen Aufwand an Erschütterung, Lärm, Hin- und Herstoßen zum Ziel gelangte; ihr kam es nicht auf die Zeit an. Es durfte gern alles etwas länger dauern, aber sollte dafür mit Aufmerksamkeit und Intensität geleistet sein, was im Ergebnis dann oft doch das schnellste war, denn man kam ohne Kaputtmachen und Nachbessern aus. Früher hätte sie versucht, Ivana zu erziehen, jetzt sah sie ihr mit dem Gefühl zu, als habe ihr jemand Juckpulver in den Ausschnitt gestreut, und fühlte sich wortlosen Unbehagensattacken ausgesetzt.
    Aber auch Ivana empfand eine ungewohnte Entscheidungsunsicherheit, wenn sie an Frau Beate Colisée dachte. Einmal hielt sie es für geboten, unbedingt bei ihr auszuharren, um schließlich zur Alleinherrscherin zu werden; dann wieder hielt sie sich für außerstande, Frau Colisée noch eine einzige weitere Stunde zu ertragen. War sie mit ihr allein, erlaubte sie sich einen rauhen Ton, nicht aus Kaltherzigkeit, sondern weil ihr winziges Geduldreservoir bis zum letzten Rest ausgeschöpft war. Frau Colisée sah sie dann mit runden erstaunten Augen an und versank in Gedanken. Durfte man so mit ihr sprechen? Hatte Ivana da eine besondere Erlaubnis? War das neuerdings in Ordnung so, hatte Frau Colisée eine entscheidende Änderung der Verhältnisse nicht mitbekommen? Es bestand eine grundsätzliche Fremdheit zwischen ihnen beiden, daß sie verschiedenen Nationen angehörten, hatte dabei das geringste Gewicht. Ivana mochte auch die Katze nicht, die auf dem Kissen und dem Schoß von Frau Colisée ihre Parasitenexistenz führte. Was sollten überhaupt Tiere in einer Wohnung? Hier sprach die alte bäuerliche Gewohnheit aus ihr, in Tieren Arbeitsgenossen, Knechte und Mägde und Gefangene zu sehen. Ivanas Lippen wurden schmal, wenn sie aus den Augenwinkeln mitbekam, wie Winnie frische Leber für das Kätzchen zuschnitt, das zu den Füßen seiner ergebenen Herrin darauf wartete, die spitzen Zähnchen in die von Fleischsaft triefenden Stücke zu schlagen; Winnie aß vor allem Gemüse – das gesinnungshafte und zugleich wissenschaftliche Wort Vegetarier will ich bei ihr ganz bewußt vermeiden. Sie würde in meiner Erinnerung als Vegetarierin sofort an Anmut verlieren, aber die Vorstellung, sich diese Leber zu braten und sie sich in den Mund zu stecken, war ihr ein Graus. Das Kätzchen hingegen erschien ihr in seiner ungeschminkten Blutgier kein bißchen weniger liebenswert. Ich muß mich davor hüten, Ivana zuviel Schuld aufzuladen, und habe auch gegenüber Winnie später nie ein Wort in dieser Tendenz ausgesprochen, aber ich werde den Gedanken nicht los, daß es Ivana war, die der Katze den Weg ins Freie öffnete oder die zumindest nicht aufpaßte und dann gewiß nicht alles stehen- und liegenließ, um einer Katze hinterherzulaufen. Hinter der Katze her, um sie zu verscheuchen, das mochte angehen, aber ihr nachlaufen, wenn sie sich von selber davonmachte, das fehlte noch.
    Fort mit solchen Verdächtigungen! Auf jeden von uns wartete noch anderes als der Tod einer Katze, und ich glaubte erst recht, dankbar sein zu müssen für den Anblick sich verfinsternder, sich mit Tränen füllender Augen, von aufsteigender Röte in weiße Wangen und malträtierten runden Lippen. In einem anderen Punkt kann ich Ivana jedoch nicht freisprechen.
    Der Krieg zwischen Serbien und Kroatien und die

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