Das Blutgericht
wirkte er irgendwie verbraucht und eingeschüchtert. So makellos er sich auch vorher präsentiert hatte, nun sah er aus, als ob er auf einer Parkbank übernachtet hätte. Er war blass, sein rötliches Haar war dunkel vor Schweiß und stand wirr vom Kopf ab, als ob er sich immer wieder mit verschwitzten Handflächen durchs Haar gefahren wäre. Seine Hosen waren zerknittert – er hatte wohl eine Menge Zeit auf unbequemen Stühlen verbracht. Schweißflecken zeigten sich unter seinen Armen und am Rücken. Sein Schlips hing schief, und sein oberster Hemdknopf stand offen.
Marianne begrüßte ihn wie einen heimkehrenden Kriegshelden. Er nahm sie in die Arme, die beiden gurrten sich an. Fast schon ekelerregend, wäre da nicht das gewesen, was dahinterstand: Schließlich war Bradleys Vater brutal ermordet worden. Ein wenig Trost konnte man ihm da nicht abschlagen.
»Wir werden ein paar Entscheidungen treffen müssen«, sagte ich ihm, als sie sich schließlich aus der Umarmung lösten.
Jorgenson nickte resigniert. Anscheinend hatte die Rückkehr nach Miami ihm erst wieder die Tragweite dessen, was gestern passiert war, vor Augen geführt. Jemand hatte versucht, ihn und Marianne umzubringen. Im Zuge dessen hatte der Killer vier Menschen ermordet – darunter seinen Vater –, ein Multi-Millionen-Dollar-Anwesen zerstört, und er hätte die beiden genauso umgebracht, wäre ich nicht aufgetaucht. Der Killer würde keine Ruhe geben. Wenn er entdeckte, dass ihm seine Zielpersonen entwischt waren, würde er wiederkommen. Wer wusste schon, wie weit er dieses Mal gehen würde?
»Die Polizei hat mir nicht abgenommen, dass ich nicht in dem Haus auf Baker Island war. Zeugen haben mein Boot gesehen. Ich stehe unter Verdacht.« Tränen füllten seine Augen, er drehte sich weg und entrang sich ein Schluchzen. Er schlug sich mit den Händen ins Gesicht und fuhr durch seine Haare. Als er sich wieder mir zuwandte, sagte er: »Wir können das Haus nicht verlassen. Das hat mein Anwalt den Behörden versprochen, und daran muss ich mich halten. Wenn ich verschwinde, sieht es so aus, als wäre ich schuldig.«
»Wenn Sie hierbleiben, werden Sie sterben.«
»Ich kann nicht flüchten.«
»Doch, das können Sie«, sagte ich. »Und das werden Sie auch.«
Ich nahm Bradley beim Ellenbogen und führte ihn in eine entfernte Ecke des Raums. Marianne beobachtete uns und wollte uns folgen, bis Rink sich dazwischenschob. Während er sie ablenkte, schob ich Bradley durch die offene Tür in das angeschlossene Bad.
»Wir sollten jetzt mal Klartext reden«, sagte ich zu ihm. Um Marianne nicht zu beunruhigen, senkte ich meine Stimme. »Ich mag Sie nicht, Bradley. Ganz im Gegenteil muss ich mich schwer beherrschen, Ihnen keine Kugel in den Schädel zu jagen. In meinen Augen sind Sie Abschaum. Verstanden?«
Sein Kiefer klappte herunter, die Farbe wich ihm aus dem Gesicht. Er versuchte sich zu entfernen, aber ich krallte meine Finger in den Nerv an seinem Ellenbogen. Er zuckte vor Schmerz zusammen, konnte aber nicht flüchten.
»Es gefällt mir gar nicht, was Sie Marianne angetan haben. Kein bisschen. Normalerweise behandele ich Männer wie Sie wie der Scheißhaufen, der sie sind. Ich kratze sie von den Sohlen meiner Stiefel. Aber ich glaube, dass es noch jemanden gibt, der Marianne noch mehr wehtun will, als Sie es bereits getan haben.«
»Marianne? Sie hat Ihnen erzählt, dass ich –«
»Klappe! Lassen Sie mich ausreden.« Ich lehnte mich vor und brachte meinen Mund sehr nahe an sein rechtes Ohr. »Ich bin mit der festen Absicht hierhergekommen, Ihnen Marianne wegzunehmen. Und das habe ich immer noch vor.«
Er begann den Kopf zu schütteln, ich schnappte noch fester zu, tastete nach dem Speichennerv in seinem Arm. Als ich seine ungeteilte Aufmerksamkeit hatte, fügte ich hinzu: »Und Sie werden mir Ihren Segen geben.«
»Wie meinen Sie das?«
»Sie werden dafür sorgen, dass Marianne mit mir kommt. Sie ist Ihnen hörig, hat Angst, sich gegen Sie zu stellen. Ich werde ihr sagen, dass es am besten ist, wenn sie einen sicheren Ort aufsucht, bis das hier vorbei ist.«
»Sie bringen sie nicht nach Hause.«
»Ich bringe sie hin, wo ich will, aber nein, ich werde sie nicht nach Hause bringen.«
Seine Schultern entspannten sich ein wenig. Ich fragte mich, ob das Erleichterung war, was ich in seinen Augen erkannte.
»Der Mann, der Sie letzte Nacht umbringen wollte, wird wiederkommen. Das kann ich Ihnen garantieren. Am besten wäre es, wenn Sie sich auch
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