Das blutige Land: Die Götterkriege 3 (German Edition)
Bruder.
Als am nächsten Morgen Soltars Licht aufging, waren die Spuren des Gewitters allgegenwärtig. Der Blitz hatte eines der alten Häuser am Dorfplatz getroffen und in Brand gesteckt, wir hatten davon wenig bemerkt, jetzt schwelte es noch und ließ eine dünne Rauchfahne in den Himmel steigen.
Der Morgen fand uns auf dem Totenacker hinter dem alten Boronschrein. Wir hatten die Statue des Gottes liegend und mit abgebrochenem Kopf vorgefunden, jetzt stand sie wieder auf ihrem Sockel, und auch den Kopf hatten wir ihr aufgesetzt. Ein guter Spaten gehörte zum Marschgepäck jedes Soldaten, also gab es genug von ihnen, sodass wir alle hatten graben können.
Noch immer schmerzte mein Rücken, und Schlamm und nasse Erde hatten ihre Spuren auf unseren Rüstungen hinterlassen, doch ich glaubte kaum, dass Boron daran Anstoß nehmen würde.
Ich war froh, dass Varosch es auf sich genommen hatte, das Totengebet zu sprechen, gerade heute zweifelte ich zu sehr an der Gerechtigkeit der Götter, um glaubhaft davon predigen zu können. Varosch aber war sich treu geblieben, standhaft pries er den Gott, hob seine Gerechtigkeit hervor und versprach den Lebenden, dass ein neues Leben auf die Gefallenen wartete, in dem die Seelen einen neuen Anfang finden würden.
Zwölf Gräber hatten wir in der Nacht ausgehoben, noch bevor der Sturm sich ganz verzogen hatte. Die Einzigen von uns, die nicht gegraben hatten, waren Varosch und Zokora gewesen, sie hatten Wache gehalten in der Hoffnung, dass ihrer Nachtsicht nichts entgehen würde. Doch die verfluchte Bestie hatte sich nicht gezeigt; was auch immer Delgeres Schutzgeist getan hatte, zumindest für den Moment schien das Ungeheuer vertrieben.
Ich bewunderte Varosch um die Festigkeit seines Glaubens, keines seiner Worte ließ nur den geringsten Zweifel daran zu, dass die Götter uns zur Seite standen, obwohl wir uns nun anschickten, den Gegenbeweis hier zu begraben.
Mein Blick ruhte auf dem Körper von Delgeres Vater, der darauf wartete, neben dem seines Sohns in den feuchten Boden gebettet zu werden, und wanderte dann zu der jungen Schamanin hin, die still und regungslos in die Ferne schaute. Was mochte sie darüber denken, dass wir ihren Vater nach unseren Ritualen begruben? Wie wurde sie mit der schweren Entscheidung fertig, die sie hatte fällen müssen?
Zuerst hatten wir hoffen können, dass die sieben ersten Opfer des Angriffs die einzigen wären, die wir beklagen müssten, doch dann, als sich Zokora um die Verletzten kümmern wollte, die uns zuerst nur ohnmächtig erschienen waren, hatte sie zu unserem Entsetzen ihren wahren Zustand erkennen müssen. Es war keine Ohnmacht, die vier der Blutreiter und Delgeres Vater in ihrem Griff hielt, weitaus Schlimmeres war ihnen zugestoßen.
Der Schrei, die Druckwelle an Magie, was auch immer es gewesen war, mit dem dieser Verfluchte einen Gastraum voller hartgesottener Soldaten in ein Totengrab verwandelt hatte, war eine noch schrecklichere Waffe, als wir es uns in unseren schlimmsten Albträumen hätten vorstellen können, denn als Delgeres Vater sich zum ersten Male wieder regte, waren seine Augen leer, Blut und Speichel liefen ihm aus dem Mund, und kein Zeichen des Erkennens zeigte sich in seinen glasigen Augen. Was auch immer es gewesen war, das uns so hart getroffen hatte, es hatte ihm den Geist zerstört und seinen Körper am Leben gelassen.
»Siehst du das?«, hatte Zokora leise die weinende Schamanin gefragt und auf das Blut gewiesen, das dem Vater noch immer langsam aus dem Ohr floss. »Siehst du, dass es sich mit dieser anderen, fast farblosen Flüssigkeit vermischt … und die grauen Teile darin?« Delgere hatte nur mühsam nicken können, während wir anderen ratlos und furchtsam umherstanden; allein die Art, wie Zokora sprach, so sanft und leise, wie ich sie selten gehört hatte, ließ mich schon das Schlimmste vermuten. »Hast du schon einmal gehört, dass man bei einem harten Schlag auf den Kopf Erinnerung oder Geist und Verstand verlieren kann?«
»Ist es das, was ihm geschah?«, flüsterte die Schamanin gebrochen.
»Ja«, hatte Zokora antworten müssen. »Sein Gehirn ist zerstört. Es ist, als ob er hundert harte Schläge hätte ertragen müssen, es war zu viel für ihn. Auch wenn sein Herz noch schlägt, ist er doch schon jetzt von uns gegangen. Es mag Tage dauern, aber sein Körper wird sterben.« Mit diesen Worten hatte Zokora einen ihrer schmalen, schwarzen Dolche gezogen und ihn der jungen Sera hingehalten.
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