Das boese Blut der Donna Luna
Details in den Zeitungen stehen. Schade, dass Sandra in Urlaub ist, darüber könnte sie einen richtig schön reißerischen Artikel schreiben.« Nellys Stimme klang bitter. Ihr Sohn sah sie ernst an.
»Sandra ist eben Journalistin und macht ihren Job. War sie eine Nutte?«
»Wer, Sandra?«, fragte Nelly bestürzt.
»Doch nicht Sandra, die ist vielleicht auch eine, aber wenn, dann nur zu ihrem Vergnügen.«
»Was erlaubst du dir für ein Urteil über deine Patentante, die ist eine hochanständige Frau!«
Nelly machte ein gespielt empörtes Gesicht und lachte dann los.
»Ganz genau, sag ich ja! Also, war sie eine oder nicht? Das Opfer, meine ich.«
»Anscheinend nicht. Ihre Tante leitet einen Prostituiertenring, aber sie gehörte nicht dazu – angeblich. Ach, heute Abend geh ich übrigens essen. Im Kühlschrank ist ...«
»Reichlich von allem, danke, hab ich schon gesehen. Schinken, alter Salat und Tiefkühlpizza. Darf man fragen, mit wem?«
Ohne zu antworten, stand die Mutter auf, um sich fertigzumachen. Mau versenkte sich wieder in die leidige Mathematik. Er saß mit nacktem Oberkörper und in verschossenen Boxershorts da, und trotzdem hatte er den ganzen Tag unter der grünen Markise geschwitzt, die die halbe Terrasse mehr recht als schlecht beschirmte. Der Jasmin öffnete zum Abend seine Blüten und verströmte seinen betörenden Duft. Seufzend lag die Stadt da, ihre hitzetrüb flimmernden Lichter brachen sich an der Dunstglocke und hüllten sie in einen kränklichen roten Schein.
Auch Nelly sah von ihrem Schlafzimmerfenster aus die in außerirdisches Licht getauchte Stadt und dachte, dass irgendwo dort unten etwas, jemand Ungutes, Krankes lauerte. Jemand, der irgendwo einen Kopf versteckte, der nicht der seine war.
Tano schellte pünktlich um neun. Mau ging zum Öffnen an die Gegensprechanlage und erfuhr endlich, mit wem seine Mutter verabredet war. Er betrachtete sie eingehend – eine gut gebaute, knackige Vierzigerin in einem schlichten, hauchzarten, hellblau geblümten Kleid, das wellige Haar kurz geschnitten, um den glutheißen Sommer durchzustehen – und urteilte: »Armer Carlo! Geh ruhig, aber mein Schweigen kommt dich teuer zu stehen. Mindestens fünfzig Euro pro Woche, und das ist noch ein guter Preis.«
»Erpresser sind unersättlich, und deswegen geht es ihnen am Ende meist an den Kragen«, sagte Nelly drohend und zog an einer seiner verfilzten Haarsträhnen.
»Ich sag das jetzt so scherzhaft, aber im Ernst, für Carlo tät’s mir leid. Er ist ein Schatz, viel zu gut für dich. Aber wenn’s nur ein One-Night-Stand ist ... ich kann verstehen, dass einem die Hitze nach Monaten sexueller Abstinenz zu Kopf steigt.«
Sie zog ihn noch kräftiger an den Haaren, und Mau flüchtete sich auf die Terrasse.
»Klemm dich hinter die Bücher, statt ungefragt meine Tugend zu verteidigen, und geh mir nicht auf den Senkel.«
»Au Mann, au Mann, au Mann, was ein Elend ...«, jammerte Mau.
Nelly schloss die Tür, und ihrem Sohn blieb nichts anderes übrig, als ins Bad zu gehen, den Kopf unter den Wasserhahn zu halten und sich wieder mit dem geöffneten Mathebuch auf den Knien auf die Terrasse zu setzen und übers Meer zu blicken, das sich wie eine riesige, pechschwarze Öllache unter ihm auftat. Sanft gestreichelt von einer schüchternen Brise, nickte er nach ein paar Minuten ein, und Morpheus’ barmherzige Umarmung ließ ihn seine Schulsorgen für einen Moment vergessen.
»Großartig, Tano, genau das Richtige für heute Abend. Ich kann verstehen, dass deine Frauen verrückt nach dir sind.«
Nelly blickte sich zufrieden um. Das Restaurant mit Meerblick in Sturla war berühmt für seinen Fisch. Obwohl sie Fisch liebte, bereitete sie ihn nie selbst zu. Die Faulheit siegte über den Appetit. Aber das hier war einfach himmlisch! Lauschige Atmosphäre, Kerzenschein, und vom Meer her schien tatsächlich – oder war es Einbildung? – ein leises Lüftchen zu wehen. Die Mondsichel stand am dunklen Himmel. Gobba a ponente luna crescente , dachte die Kommissarin unwillkürlich. Macht sich der Mond nach Westen krumm, wird er rund. Sie hatten Fischsuppe bestellt, und freudig tauchte sie ein Stück geröstetes Brot in die sämige, dampfende Brühe.
Tano lächelte froh und zufrieden. Die richtigen Orte auszuwählen und für die passende Stimmung zu sorgen war seine Spezialität, seine Geheimwaffe, die ihn in Kombination mit seinem fraglos guten Aussehen fast unwiderstehlich machte. Und Nelly war die perfekte
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