Das boese Blut der Donna Luna
ihm schwer zugesetzt, und er litt unter der Trennung von seinen Kindern. Er war misstrauisch und unbeständig (geworden?).
»Was denn für Rache, ich bin der freieste Junggeselle von ganz Genua und Umgebung«, versicherte er ihr mit Unschuldsmiene.
»Na, dann nehme ich die Einladung gerne an. Wir können noch ein bisschen über die heutigen Ereignisse reden und uns entspannen. Wunderbar. Wann kommst du vorbei?«
»Um neun. Bei dieser Hitze kann man um neun gerade mal wieder atmen. Aber kein Wort über die Arbeit.«
»In Ordnung. Wo gehen wir hin?«
»Lass dich überraschen.«
»Noch ein Rätsel, das gelöst werden will. Na gut, die Lösung haben wir bald. Also bis um neun.«
Valeria, Informatikexpertin und organisatorisches Rückgrat des Büros, hatte Nelly ausgelaugt beim Vizepolizeichef eintreten sehen und sah sie jetzt frisch und energiegeladen wieder herauskommen, doch sie war zu müde und verschwitzt, um sich darüber Gedanken zu machen. Erleichtert dachte sie daran, dass der Arbeitstag bald zu Ende war und sie sich zu Hause in eine Badewanne mit Eiswürfeln gleiten lassen würde. Davon hatte sie den ganzen Tag geträumt.
So schnell, wie es ihr abgekämpfter Zustand erlaubte, legte Nelly den gewohnten Weg vom Polizeipräsidium zu ihrer Wohnung in der Altstadt zurück, der durch den Verbindungstunnel zwischen Foce-Viertel und Zentrum führte. Vom Straßenpflaster stiegen Hitzeschwaden auf, und im Tunnel schienen sich die Abgase des gesamten Tages gesammelt zu haben. Man sah die Hand vor Augen nicht. Wie immer hielt Nelly beim Durchqueren des Tunnels den Atem an und kam hustend und halb erstickt wieder heraus. Erleichtert bog sie in die Gassen der Altstadt ein. Noch ein letzter Kraftakt, die fünf Stockwerke per Treppe hinauf, und dann nichts wie in die Wohnung und die Tür zuschlagen. Auf dem Weg ins Bad riss sie sich Schuhe und Kleider herunter und warf sie in die Ecke. Ihr Sohn Maurizio (von allen nur Mau genannt), der auf dem Balkon über seinen Büchern hing, sah sie vorbeihuschen und prustete los.
»Manchmal bist du echt albern, weißt du das?«, rief er ihr nach, während sie mit einem grußähnlichen Grunzen im Bad verschwand. Endlich, was für ein Genuss, das Wasser (das nicht kalt, sondern allenfalls lauwarm aus den glühenden Rohren kam, aber immerhin) und das Duschgel, runter mit dem klebrigen Sand aus Righi, runter mit dem blanken Entsetzen dieses Julimorgens.
Eingehüllt in einen abgetragenen Bademantel und mit tropfnassem rotem Haar ließ sich Nelly auf dem Balkon ihrem feixenden Sohn gegenüber in einen Korbsessel fallen. Minni und Silvestro, zwei der drei getigerten Katzen, die mit ihr und Mau zusammenlebten, strichen ihr schnurrend und einigermaßen beleidigt um die Beine, weil Pippo, der dritte, es als Erster mit einem Satz auf Nellys bequemen Schoß geschafft hatte und sich nun genüsslich darauf zusammenrollte.
»Wenn dich deine Kollegen aus dem Präsidium jetzt sehen könnten!«
»Wie denn? Nass? Erledigt? Na und? Das kann doch meinem Charisma nix anhaben!«
Nelly lehnte sich zurück und saß minutenlang reglos da. Verstohlen musterte sie Mau, dessen Gesicht hinter einem Vorhang rötlichbrauner Dreadlocks verschwand. Zum Glück hatte er aufgehört zu wachsen, ein Meter neunzig waren mehr als genug. Er hatte sogar ein bisschen zugelegt, oder besser gesagt, er war nicht mehr ganz so spindeldürr wie früher. Unter seinen grauen, leicht schrägstehenden Augen lagen tiefe Ringe. Vielleicht zum ersten Mal in seinem Leben hatte Mau richtig zu büffeln angefangen, denn in wenigen Tagen stand seine mündliche Abiturprüfung an. Die tropischen Temperaturen waren diesem für ihn ungewöhnlich großen Opfer alles andere als zuträglich.
»War Moni heute zum Lernen hier?«, fragte Nelly nebenbei. Monica, genannt Moni, war Maus Freundin. Oder hatten sie vielleicht schon wieder Schluss gemacht? Inzwischen kam Nelly nicht mehr mit. Spätestens alle vier Wochen kriegten sich die beiden in die Haare und beschlossen, dass es diesmal wirklich aus sei, endgültig. Die Trennung dauerte im Schnitt zwei Tage.
»Nein. Die lernt am Strand, ich kann das bei der Hitze nicht, da brennt’s mir das Hirn weg. Aber wenn bei ihr die Bräune nicht perfekt ist ...«
Oha, es roch nach Krach. Besser, man wechselte das Thema.
»Heute war ein richtiger Scheißtag. Wir oder besser ich habe in Righi ein Mädchen ohne Kopf gefunden. Eine achtzehnjährige Senegalesin, stell dir vor. Morgen wird’s mit allen
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