Das boese Blut der Donna Luna
teuflische Stimmchen ihr zu: Schwachsinn. Sucht ihr nur. Der Kopf ist nicht hier. Die Köpfe behält er nämlich.
Er!! O Himmel, jetzt errate ich sogar das Geschlecht der Mörder. Allerdings, um eine Leiche hier raufzuschleppen ... »Und außerdem sind fast alle Serienmörder männlich.«
Den letzten Teil des Gedankens hatte sie laut ausgesprochen. Marco sah sie verblüfft an. »Männlich, weiß, zwischen zwanzig und fünfzig Jahre alt und in unserem Fall kräftig gebaut. Wir wissen doch, wie’s im amerikanischen Film zugeht, was? Aber stell dir vor, neuesten Untersuchungen zufolge soll Jack the Ripper eine Frau gewesen sein!«
Um dem vernichtenden Blick des Vizekommissars zu entgehen, wandte sich Nelly Dottor Parodi zu, der neben der Toten hockte.
»Genau wie die von gestern, Himmel noch eins, hier geht’s ja zu wie in der Französischen Revolution, ob das was mit der Hitze zu tun hat? Diese hier ist ebenfalls vor wenigen Stunden gestorben. Meiner Meinung nach ist sie lebend enthauptet worden. Saubere Arbeit, ausgeführt von jemandem, der sich mit Anatomie einigermaßen auskennt. Ist Nardini mit dem gestrigen Befund schon fertig?«
»Wir warten noch auf die Ergebnisse der toxikologischen Untersuchung. Es wurden weder Traumata noch Verletzungen festgestellt, und wenn sie, wie auch Nardini glaubt, lebend geköpft worden ist, muss sie vorher vergiftet oder unter Drogen gesetzt worden sein.«
Wie eine Fata Morgana tauchte Laurenti in ecrufarbenem Leinen mit hellblauer Krawatte am Ort des Verbrechens auf und war inzwischen weniger verärgert als erstaunt und fasziniert. Die Sache nahm eine unerwartete Wendung. Noch eine, und auf die gleiche Weise? Vielleicht könnte das Ganze doch noch interessant werden und ihm zu gewisser Berühmtheit verhelfen? Denn Ruhm, das war in der Branche allgemein bekannt, ließ den jungen Staatsanwalt einfach nicht kalt.
Die Hitze war noch unerträglicher als in den Tagen zuvor. Die Luft war tropisch. Nelly überlegte, dass man ziemlich durchgeknallt sein musste, um den für diese Verbrechen erforderlichen Aufwand gleich an zwei Tagen hintereinander zu betreiben. Der Mörder musste eine unglaubliche Energie und Entschlossenheit haben. Und die Sache sorgfältig und von langer Hand vorbereitet haben. Oder gab es zwischen den Opfern einen Zusammenhang, und die Zuhälter unterschiedlicher Ethnien begannen sich zu bekriegen? War das vielleicht Madame Claires Antwort an den vermeintlichen Mörder ihrer Nichte? Der Gedanke traf Nelly wie ein Blitz.
»Marco, wir müssen sofort mit Fattori sprechen. Und dann mit Madame Claire«, sagte sie zu ihrem Vize. Er nickte wortlos. Schweigend gingen sie zu Nellys Auto und fuhren Richtung Polizeipräsidium.
Es war bereits früher Nachmittag. Nelly saß in ihrem Büro, trank einen Kaffee und überflog die Zeitung. Im »Secolo XIX« von diesem Morgen stand: »Unbekannte Frau geköpft am Righi gefunden«. Es waren nicht mehr als drei Spalten im Lokalteil. Paulettes Name war noch nicht öffentlich gemacht worden.
Morgen werden die Schlagzeilen größer sein. Zwei in zwei Tagen, und dazu passiert gerade sowieso nicht viel in der Stadt, abgesehen davon, dass das Wasser rationiert wird und man vor Hitze eingeht. Vielleicht noch der Genueser Kultursommer, hier und da ein Konzert, Theater in den Forti, Ballett in Nervi, aber das war’s dann auch.
»Nelly, das Mädchen von Madame Claire ist da, Malina Faye. Wir zeigen ihr ein paar Fotos von alten Bekannten und die von dem Kerl. Er ist auch hier, wir haben ihn herbestellt. Er wartet in einem anderen Zimmer und hat sie nicht gesehen.«
Marcos Stimme riss sie aus ihren Gedanken. Malina betrat das Büro und nahm ein wenig befangen vor dem Schreibtisch Platz. Man konnte sehen, dass sie sich im Präsidium nicht sonderlich wohl fühlte. Sie trug ein äußerst knappes, trägerloses weißes Minikleid, das ihre dunkle Haut zur Geltung brachte. Das kurze Haar war unter einer Rastaperücke mit eingeflochtenen Perlen verschwunden. Ihre üppige Weiblichkeit hatte etwas sehr Anziehendes. Wie viele der farbigen Frauen und Mädchen, die in der Altstadt wohnten, strahlte sie eine unbändige Vitalität aus. Nelly empfand jedes Mal Bewunderung, wenn sie sie durch die Gassen laufen und lebhaft aufeinander einreden sah. Selbst denen, die frühmorgens nach einer vermutlich schlauchenden Nachtschicht in den Zügen vom Bahnhof Principe zurückkehrten, haftete noch etwas Spontanes, Unverdorbenes, Ursprüngliches an. Und sie
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