Das Böse kommt auf leisen Sohlen
Er preßte Jim die Hand auf den Mund, schob seine Finger hinein, ließ sich beißen und erstickte die zornigen Schreie, das Knurren.
Die Haustür ging auf.
Will preßte Jim die Luft aus den Lungen, lag schwer auf ihm, verschloß ihm mit der Faust den Mund.
Etwas stand auf der Veranda. Ein kleiner Schatten schaute sich nach Jim um, fand ihn aber nicht.
Aber es war nur Robert, der junge, freundliche Neffe, der beinahe lässig aus dem Haus trat, die Hände in den Hosentaschen, leise vor sich hin pfeifend. Er atmete die Nachtluft ein, wie Jungen das tun, begierig auf Abenteuer, die sie selbst machen mußten, die sich nicht von allein ereignen. Alle Muskeln gespannt, in tödlicher Umklammerung mit Jim, sah Will ihn so dastehen und war vom Anblick des ganz normalen Jungen um so betroffener, wie er sich beiläufig umschaute, in ganz normaler Haltung, an der nichts von einem Erwachsenen war, klein im Licht der Straßenlampen.
Im nächsten Augenblick konnte Robert schreiend hinzuspringen, um mit ihnen zu spielen, mit ihnen zu raufen, die Arme auf den Rücken zu drehen wie Puppen im Mai. Das Ganze würde dann so enden, daß sie sich alle mit Lachtränen in den Augen auf dem Rasen wälzten. Dann war der Schrecken überwunden, die Angst im Tau dahingeschmolzen, der Traum vom Nichts schnell vorbei, wie das stets mit solchen Träumen geht, wenn man die Augen aufmacht. Da stand nun der Neffe mit seinem runden, frischen Jungengesicht, glatt wie ein Pfirsich. Lächelnd blickte er auf die beiden raufenden Jungen herab, die er im Gras entdeckt hatte.
Dann verschwand er blitzschnell im Haus. Er rannte nach oben, kramte herum, kam wieder nach unten; dann plötzlich, während die beiden Jungen noch versuchten, sich gegenseitig zu packen, niederzuzwingen, auf den Boden zu drücken, ergoß sich ein glitzernder, klingelnder Regen ins Gras.
Der Neffe schwang sich über das Geländer und landete katzenweich, verborgen im eigenen Schatten, im Gras.
Von seinen Händen blinkten Sterne. Er verstreute sie freigiebig. Sie fielen, glitten, blitzten neben Jim. Die beiden Jungen lagen regungslos da, erschrocken von dem Regen von Gold und diamantenem Feuer, der sich über sie ergoß.
"Hilfe! Polizei!" schrie Robert.
Will war so erschrocken, daß er Jim losließ.
Jim war so erschrocken, daß er Will losließ.
Beide griffen gleichzeitig nach dem kalten, ringsum verstreuten Eis.
"Herr im Himmel, ein Armband!"
"Ein Ring! Eine Halskette!"
Robert trat mit dem Fuß aus. Zwei Mülltonnen fielen polternd an der Bordsteinkante um.
"Polizei!"
Robert warf ihnen eine letzte Handvoll Glitzern vor die Füße, dann schloß er die Lippen und sperrte sein freundliches Pfirsichlächeln ein, als wollte er eine Explosion in einer Kiste verschließen, und preschte die Straße entlang.
"Warte!" Jim sprang auf. "Wir tun dir nichts!"
Will stellte ihm ein Bein. Jim fiel hin.
Oben ging das Fenster auf. Miss Foley beugte sich heraus. Jim kniete auf dem Boden und hielt eine Damenarmbanduhr in der Hand. Will blinzelte das Halsband in seiner Hand an.
"Wer ist denn da?" rief sie. "Jim? Will? Was habt ihr denn da?"
Aber Jim rannte schon weg. Will hielt noch für einen Augenblick inne, gerade lange genug, um zu beobachten, wie das Fenster leer wurde und Miss Foley sich in ihrem Zimmer umschaute. Ein leiser Schrei. Als er dann ihren zweiten, schrillen Schrei hörte, wußte er, daß sie den Raub entdeckt hatte.
Im Davonlaufen kam Will in den Sinn, daß er nun genau das tat, was Robert erreichen wollte. Er sollte lieber umkehren, den Schmuck zusammensuchen, Miss Foley erzählen, was geschehen war. Aber er mußte doch Jim retten!
Weit hinter sich hörte er Miss Foley schreien, bis immer mehr Fenster hell wurden! Will Halloway! Jim Nightshade! Nächtliche Herumtreiber! Diebe! Das sind wir, dachte Will. O mein Gott! Wir sind das! Nichts, nichts wird man uns glauben, was immer wir von jetzt an auch sagen! Nichts über den Zirkus, nichts über das Karussell, nichts über Spiegel oder böse, gemeine Neffen – nichts, nichts!
Und so rannten sie dahin, drei Tiere im Sternenlicht.
Eine Schwarzotter. Ein Kater. Ein Kaninchen.
Ich, dachte Will, ich bin das Kaninchen.
Er war weiß, und er hatte furchtbare Angst.
Dreiundzwanzigstes Kapitel
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Mit einer Geschwindigkeit von gut dreißig Stundenkilometer erreichten sie den Festplatz – vielleicht ein
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