Das Böse kommt auf leisen Sohlen
der Telefonzelle. Nun sahen sie den Streifenwagen mit heulender Sirene vorbeisausen, die Ambulanz dicht dahinter. All die Männer schauten zu den beiden Jungen heraus, die mit schnatternden Zähnen im unsicheren Mondlicht dastanden.
Drei Minuten später gingen sie den Hauptweg auf der Festwiese entlang. Jim führte sie. Er plapperte unentwegt.
"Er lebt noch. Er muß noch leben. Wir wollten das doch nicht! Es tut uns so leid!" Er starrte die schwarzen Zelte an. "Hören Sie? Es tut uns wirklich leid!"
"Immer mit der Ruhe, mein Junge", sagte der Polizeibeamte. "Gehen wir weiter."
Die beiden Polizisten in Mitternachtsblau, die beiden Krankenträger in geisterhaftem Weiß und die beiden Jungen kamen am Riesenrad vorbei und standen dann gleich am Karussell.
Jim stöhnte.
Die Pferde waren mitten im Sprung erstarrt.
Sternenlicht spiegelte sich in den Messingstangen. Das war alles.
"Er ist weg..."
"Er war aber hier, das können wir beschwören!" sagte Jim.
"Hundertfünfzig oder zweihundert Jahre alt, und daran sollte er sterben."
"Jim", sagte Will.
Die vier Männer wurden unruhig.
"Sie müssen ihn in ein Zelt gebracht haben." Will wollte weg, aber einer der Polizisten nahm ihn beim Ellbogen.
"Hast du gesagt, hundertfünfzig Jahre alt?" fragte er Jim. "Warum nicht gleich dreihundert?"
"Vielleicht auch dreihundert! O Gott!" Jim drehte sich um und schrie: "Mr. Cooger! Wir haben Hilfe mitgebracht."
Lichter blitzten im Geisterzelt auf. Die riesigen Transparente davor schienen sich zu bewegen, als die Scheinwerfer sie in grelles Licht tauchten. Die Polizeibeamten blickten hoch. MR. SKELETON, DIE STAUBHEXE, DER ZERMALMER, VESUVIO DER LAVASCHLÜRFER. Jedes Wort stand auf einer eigenen Fahne, und sie bewegten sich alle leicht im Wind.
Jim blieb am raschelnden Eingang zur Geisterschau stehen.
"Mr. Cooger?" flehte er. "Sind Sie da?"
Aus der Zeltöffnung entströmte warme Luft, die nach Löwen roch.
"Was?" fragte ein Polizist.
Die Zeltklappen bewegten sich wie Lippen. Jim las die Worte ab.
"Sie haben ›Ja‹ gesagt, ›kommt herein!‹"
Jim trat ein, die anderen folgten ihm.
Im Innern des Zeltes blinzelten sie in das Zickzack von Zeltstangenschatten hinauf zu den hohen Geisterpodesten mit all den durch die Welt streunenden Fremden.
Verkrüppelt an Geist und Körper, warteten sie hier.
An einem wackeligen Kartentisch ganz in der Nähe saßen vier Männer und spielten mit limonengrünen, sonnenfarbenen Karten, auf die Mondungeheuer und geflügelte Sonnenwesen gedruckt waren. Hier das schiefe Skelett, das man wie eine Orgel spielen konnte; da der Blimp, der jeden Abend durchlöchert und am Morgen wieder aufgepumpt wurde; hier der Knirps, als "die Warze" bekannt, den man spottbillig als Postpaket versenden konnte; und gleich daneben ein noch kleineres Wesen, ein Irrtum der Zellen und der Zeit, ein so kleiner, verhutzelter Zwerg, daß man sein Gesicht hinter den Karten in seinen arthritischen, verkrümmten, knorrigen Fingern nicht sehen konnte.
Der Zwerg! Will zuckte zusammen. Diese Hände... Sie waren ihm bekannt, so bekannt. Wo? Wer? Was? Aber seine Augen schweiften weiter.
Dort stand Monsieur Guillotine, in engen schwarzen Hosen, langen Strümpfen, eine schwarze Kapuze über dem Kopf, die Arme vor der Brust verschränkt, stocksteif neben seinem Apparat zum Kopfabschlagen. Das Fallbeil hing hoch oben in der Zeltkuppel, ein hungriges Messer, das meteorgleich glitzerte und blitzte und danach gierte, den Raum zu durchtrennen. Unten lag eine Puppe, den Kopf im Block, und erwartete den raschen Tod.
Da stand der Zermalmer mit Stricken und Ketten, in Stahl und Eisen, der Knochenbrecher, Eisenfresser, Hufeisenverbieger.
Und dort der Lavaschlürfer, Vesuvio mit der verkohlten Zunge und den verbrühten Zähnen. Er wirbelte Dutzende von Feuerbällen in die Luft und spuckte einen Feuerstrahl aus, der gestreifte Schatten durch das hohe Zelt tanzen ließ.
In den Nischen ringsum standen noch weitere dreißig Mißgeburten und sahen das Feuer davonfliegen, bis der Feuerschlucker sich umwandte, die Eindringlinge bemerkte und sein Reich zusammenstürzen ließ. Die Sonnen ertranken in einem Wassertrog.
Dampf wallte auf. Alles gefror zu einem Tableau.
Dort, auf dem größten Podest, stand Mr. Dark, der Illustrierte Mann, eine Tätowiernadel wie den Pfeil eines Blasrohrs in seiner Hand. Die Nadel
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