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Das Böse kommt auf leisen Sohlen

Das Böse kommt auf leisen Sohlen

Titel: Das Böse kommt auf leisen Sohlen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ray Bradbury
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Schreckliche,  hatte er die Musik gehört, war er um die Zelte  geschlichen? Nein. Nein, das täte Dad niemals. 
    Will warf ein Steinchen hinüber an Jims Fenster. 
    Klapp. Stille. 
    Er stellte sich Jim vor, wie er im Dunkeln saß, sein  Atem leuchtend wie Phosphor in der Luft. 
    Klapp. Stille. 
    Das sah Jim nicht ähnlich. Früher war dann immer das  Fenster aufgegangen, Jims Kopf war herausgekommen,  Rufe, geheimnisvolles Flüstern auf den Lippen, Kichern,  Streiche, Dummheiten. 

    "Jim, ich weiß doch, daß du da bist!" 
    Klapp. 
    Stille. 
    Dad ist in der Stadt. Bei Miss Foley ist  Duweißtschonwer, dachte er. Mein Gott, Jim, so tu doch  etwas! Heute noch! 
    Er warf ein letztes kleines Steinchen hinüber. 
    Klapp. 
    Es fiel lautlos ins Gras unter dem Fenster. 
    Heute abend, dachte Will. Er biß sich in den  Handrücken. Dann legte er sich kalt und gerade und steif  aufs Bett. 

Einundzwanzigstes Kapitel 

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    In der Einfahrt hinter dem Haus lag der gewaltige, altmodische Steg aus Fichtenplanken. Er lag schon dort, solange Will denken konnte, seit die Zivilisation gedankenlos die langweiligen, harten, nicht federnden Bürgersteige aus Zement ausgespuckt hatte. Sein Großvater, ein impulsiver, sentimentaler Mann, der sich nichts ohne Gebrüll gefallen ließ, hatte sich für das verschwindende Andenken an alte Zeiten stark gemacht und zusammen mit einem Dutzend Männer gut zehn Meter von dem Holzsteig in die Einfahrt hinter dem Haus gewuchtet. Dort lag er nun wie das alte Skelett eines unbekannten Ungeheuers, Jahr für Jahr, ausgedörrt von der Sonne, faulend im Regen. 
    Die Uhr in der Stadt schlug zehn. 
    Will lag im Bett und dachte an Großvaters riesiges Geschenk aus einer anderen Zeit. Er wartete darauf, daß der Holzsteig ihm etwas sagen würde. In welcher Sprache? Nun... 
    Ein richtiger Junge geht nie geradewegs an die Haustür, um zu klingeln, wenn er seinen Freund sehen will. Er wirft lieber Dreckklumpen an Fensterläden, läßt Eicheln über Dachziegel rollen oder stößt geheimnisvolle Rufe aus wie eine Eule, die auf dem Dachboden gestrandet ist. 
    So war's auch bei Will und Jim. 
    Spät am Abend, wenn es darum ging, über Grabsteine zu hüpfen oder tote Katzen bei unbeliebten Leuten in die Schornsteine zu werfen, dann schlich sich der eine oder der andere von den beiden Jungen im Mondschein hinaus und tanzte über die alten Planken wie über ein Xylophon. 
    Im Laufe der Jahre hatten sie den Holzsteig gestimmt, indem sie hier ein Brett gelockert und dort ein anderes angenagelt hatten. Das F mußte höher klingen, eine andere Note tiefer; so hatten sich die beiden eine Melodie gemacht, so gut es das Wetter und ihre Geschicklichkeit erlaubten. 
    Je nach der Melodie, die sie auf den Brettern tanzten, konnte man das bevorstehende Abenteuer bestimmen. 
    Wenn Will hörte, wie Jim laut und hart sieben oder acht Noten von "Way Down Upon the Swanee River" trampelte, wußte er, daß es auf den Mondpfad hinausging, zum Bach, der an den Höhlen vorbeiführte. 
    Wenn Jim von Will etwas zu hören bekam, was entfernt wie "Marching Through Georgia" klang, dann bedeutete das, draußen vor der Stadt waren die Äpfel, Pflaumen oder Pfirsiche reif genug, sich den Magen daran zu verderben. 
    So wartete Will in dieser Nacht mit angehaltenem Atem auf irgendeine Melodie, die ihn rufen würde. 
    Viertel nach zehn, halb elf. 
    Keine Musik. 
    Will paßte es nicht, daß Jim da drüben in seinem Zimmer hockte und nachdachte. Worüber? Über das Spiegelkabinett? Was hatte er dort gesehen? Und was war ihm dabei in den Sinn gekommen? 
    Will wälzte sich unruhig hin und her. 
    Es gefiel ihm ganz und gar nicht, wenn er so an Jim dachte und daß kein Vater sich zwischen ihn und die Zelte und alles stellte, was da draußen auf den dunklen Wiesen lag. Und eine Mutter, die ihn so sehr in der Nähe haben wollte, daß er ganz einfach weggehen mußte, hinaus, die frische Nachtluft atmen, hinaus, wo die freien Wasser der Nacht der noch größeren, freieren See entgegenströmten. 
    Jim, dachte er. Los, wo bleibt die Musik? 
    Um fünf nach halb elf kam sie dann. 
    Er hörte Jim – oder glaubte ihn zu hören –, wie er herabsprang und wie ein riesiger Kater im Frühling auf dem gewaltigen Xylophon landete. Und diese Melodie! 
    Klang das nicht wie der Trauermarsch, wie die Zirkusorgel ihn verkehrt gespielt hatte? 
    Will wollte gerade aus dem Bett steigen,

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