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Das Böse kommt auf leisen Sohlen

Das Böse kommt auf leisen Sohlen

Titel: Das Böse kommt auf leisen Sohlen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ray Bradbury
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zuckte. 
    Erwache zum Leben, rief das Summen. Erwache zum Leben, riefen die zuckenden Farben, das Licht. Erwache zum Leben, schrien Mr. Darks Lippen. Ihn hörte niemand außer Jim, der ihm die Worte von den Lippen ablas. Sie klangen laut wie Donner in seinem Kopf, genau wie bei Will. Erwache zum Leben! Mit schierer Willenskraft wollte er den alten Mann zum Leben erwecken. Steh auf, rühr dich, laß die Säfte wieder steigen, den Geist zurückkehren, schmilz die wächserne Seele... 
    "Er ist tot!" Doch auch Will hörte niemand, sosehr er auch gegen das Tosen der Blitze anschrie. 
    Lebendig! Mr. Darks Lippen zuckten. Lebendig. 
    Erwache zum Leben. Er schob den Schalter ganz vor. 
    Irgendwo kreischten protestierend Dynamos, knirschten, schrillten, stöhnten auf in wilder Energie. Das Licht wurde flaschengrün. Tot, tot, dachte Will. Aber du sollst leben, schrien Maschinen, Flammen und Feuer, schrien die Mäuler der Ungeheuer auf der bemalten Haut. 
    Das Haar des alten Mannes stellte sich prickelnd auf. 
    Funken bluteten von seinen Fingernägeln, tropften träge auf die Planken. Grünlich sickerte das Licht durch die geschlossenen Augenlider. 
    Der Illustrierte Mann beugte sich über das alte, alte, tote, tote Ding, rief erregt unverständliche Worte. Seine Untiere ertranken in Schweißbächen, seine Rechte stieß immer wieder fordernd in die Luft: Lebe! Lebe! 
    Und der alte Mann erwachte zum Leben. 
    Will schrie sich heiser. 
    Und keiner hörte ihn. 
    Jetzt – ganz langsam, wie vom Donner angerührt, von der neuen Dämmerung des elektrischen Feuers, öffnete sich ganz langsam ein totes Augenlid. 
    Die Mißgeburten staunten. 
    Weit, weit weg schrie nun auch Jim, denn Will hielt seinen Ellbogen umkrampft und spürte den Schrei durch die Knochen zittern, als sich die Lippen des Alten öffneten und schreckliche Blitze zischend im Zickzack zwischen den Lippen und den weißen Zähnen hin und her huschten. 
    Der Illustrierte Mann drosselte den Strom zu einem Wimmern. Dann drehte er sich um, fiel auf die Knie und streckte die Hand aus. 
    Weit oben auf dem Podium bewegte sich kaum merklich etwas unter dem Hemd des alten Mannes, wie wenn ein welkes Blatt im Herbstwind raschelt. 
    Die Mißgeburten atmeten auf. 
    Der alte, alte Mann seufzte. 
    Ja, dachte Will, sie atmen für ihn, sie helfen ihm, erfüllen ihn mit Leben. 
    Einatmen, ausatmen, einatmen, ausatmen – und doch wirkte alles wie eingelernt. Was konnte er sagen oder tun? 
    "Die Lungen... so...", flüsterte jemand. 
    Die Staubhexe in ihrem Glaskasten? 
    Die Lippen des Alten zuckten. 
    "... Herzschlag... eins... zwei... so... so..." 
    Wieder die Staubhexe? Will fürchtete sich, hinzusehen. 
    Eine Ader tickte wie eine kleine Uhr am Hals des Mannes. 
    Ganz, ganz langsam glitt das rechte Auge des alten Mannes auf, wurde weit, blickte starr wie die Linse einer kaputten Kamera. Es war, als blicke man durch ein Loch ohne Grund und Boden hinaus in den endlosen Raum. Er wurde wärmer. 
    Den Jungen unten wurde kälter. 
    Nun war das alte, schauerlich-weise Auge so groß und so tief und so lebendig, das einzige Lebendige in dem porzellanstarren Gesicht, daß tief auf dem Grunde des Auges irgendwo der böse Neffe die Polizisten, Krankenwärter und mißgestalteten Kreaturen anblickte. 
    Und Will. 
    Will sah sich, er sah Jim, zwei winzige Bilder, widergespiegelt in diesem einzigen Auge. Wenn der alte Mann blinzelte, dann mußte er das Bild mit seinen Lidern zerschmettern! 
    Endlich drehte sich der Illustrierte Mensch auf den Knien um und beruhigte alle mit seinem Lächeln. 
    "Gentlemen! Jungen! Hier habt ihr wirklich einen Menschen, der mit den Blitzen lebt." 
    Der zweite Polizist lachte. Dabei glitt sein Daumen von der Pistolentasche. 
    Will schob sich nach rechts. 
    Das offene, starre Auge verfolgte ihn, schien ihn mit seiner Leere ansaugen zu wollen. 
    Will drückte sich nach links. 
    Wieder folgte ihm der starre, unheimliche Blick des alten Mannes, während sich die kalten Lippen öffneten, um einen leisen Seufzer, einen Laut zu formen. Tief aus dem Körper des alten Mannes stieg wie aus einem steinernen Brunnen die Stimme hoch, bis sie endlich die Lippen erreichte. 
    "... willkommmmmmm..." 
    Das Wort versank wieder im Brunnen. 
    "... will... kom... mmm..." 
    Die beiden Polizisten stießen einander feixend an. 
    "Nein!" rief Will plötzlich. "Das war nicht gespielt! Er war tot! Und er

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