Das Böse unter der Sonne
anzündete, sagte er: «Sie fragten mich nach Redfern. Meine Frau erzählte mir, dass sie ihn auf irgendeiner Cocktailparty getroffen habe.»
«Er war also nicht mehr als ein oberflächlicher Bekannter?»
«Ich glaube, ja.»
«Seitdem…» Der Polizeichef zögerte. «Soviel ich hörte, hatte sich diese Bekanntschaft zu einer engeren Beziehung entwickelt.»
«Das haben Sie also gehört?», entgegnete Marshall scharf. «Wer hat Ihnen das erzählt?»
«Es ist im Hotel allgemein bekannt.»
Für einen kurzen Augenblick schweiften Marshalls Augen zu Hercule Poirot. «Hotelklatsch ist gewöhnlich nichts weiter als ein Haufen Lügen», sagte er mit unterdrücktem Ärger.
«Möglich. Aber ich habe erfahren, dass Mr Redfern und Ihre Frau Gründe für derartigen Klatsch lieferten.»
«Was für Gründe?»
«Sie waren ständig zusammen.»
«Ist das alles?»
«Sie streiten doch nicht ab, dass es so war?»
«Vielleicht stimmt es. Ich habe es nicht bemerkt.»
«Sie hatten nichts gegen die Freundschaft Ihrer Frau mit Mr Redfern?»
«Es war nicht meine Gewohnheit, das Benehmen meiner Frau zu kritisieren.»
«Sie haben nicht dagegen protestiert?»
«Gewiss nicht.»
«Auch nicht, als sich die Geschichte zu einem Skandal auszuwachsen drohte und es zwischen Mr Redfern und seiner Frau zu immer größeren Missstimmungen kam?»
«Ich kümmere mich um meine eigenen Angelegenheiten», erklärte Marshall kühl, «und erwarte, dass das die andern Leute auch tun. Ich höre nicht auf Klatsch und Tratsch.»
«Sie bestreiten doch nicht, dass Mr Redfern Ihre Frau bewunderte?»
«Vermutlich tat er das. Die meisten Männer bewunderten sie. Sie war eine sehr schöne Frau.»
«Aber Sie waren überzeugt, dass die Sache keine Bedeutung hatte?»
«Es wäre mir nicht im Traum eingefallen, etwas anderes zu denken.»
«Angenommen, wir haben Zeugen, die beweisen können, dass die beiden auf höchst vertrautem Fuß miteinander standen?»
Wieder wanderten die kühlen blauen Augen zu Hercule Poirot. Wieder huschte ein Ausdruck der Abneigung über das gewöhnlich so bewegungslose Gesicht.
«Wenn Sie diesen Geschichten glauben wollen, dann glauben Sie ihnen eben. Meine Frau ist tot und kann sich nicht mehr verteidigen.»
«Meinen Sie damit, dass Sie persönlich ihnen nicht glauben?»
Zum ersten Mal glänzte es feucht auf Marshalls Stirn. «Ich halte nichts davon, nein.» Dann fügte er hinzu: «Sind Sie nicht ein gutes Stück vom Kern der Sache abgekommen? Was ich glaube oder nicht glaube, dürfte kaum eine Rolle spielen, wenn es um einen klaren Fall von Mord geht.»
Bevor irgendjemand etwas antworten konnte, sagte Hercule Poirot rasch: «Sie sehen die Sache nicht richtig, Captain Marshall. So etwas wie einen klaren Fall von Mord gibt es nicht. In neun von zehn Fällen hängt der Mord mit dem Charakter und den Lebensumständen der ermordeten Person zusammen. Eben weil das Opfer eine Person mit diesen oder jenen Eigenschaften war, wurde er oder sie getötet. Bis wir nicht genau wissen, was für ein Mensch Arlena Marshall war, können wir auch nicht abschätzen, was für eine Art von Person sie umgebracht hat. Und das ist der Grund, warum wir diese Fragen stellen müssen.»
Marshall wandte sich an den Polizeichef und fragte: «Ist das auch Ihre Meinung?»
Weston schwankte etwas. «Nun, bis zu einem gewissen Grad», begann er zögernd. «Bis zu einem gewissen Grad würde ich sagen…»
Marshall lachte auf. «Ich dachte mir schon, dass Sie damit nicht einverstanden sind. Dieser Unsinn über Charakter und solches Zeug ist Poirots Spezialität.»
«Zumindest können Sie sich beglückwünschen, dass Sie sich nicht die Mühe gemacht haben, mir zu helfen!», bemerkte Poirot.
«Was meinen Sie damit?»
«Was haben Sie uns über Ihre Frau denn schon verraten? Eigentlich gar nichts. Sie haben uns nur erzählt, was jeder selbst feststellen kann. Dass sie schön war und bewundert wurde. Mehr nicht.»
Kenneth Marshall zuckte die Achseln. «Sie sind verrückt», sagte er nur. Er blickte wieder zum Polizeichef. «Noch etwas, Sir, das Sie mich fragen möchten?»
«Ja, Captain Marshall. Ich würde gern wissen, was Sie heute Vormittag gemacht haben.»
Kenneth Marshall nickte. Offensichtlich hatte er das erwartet. «Wie gewöhnlich frühstückte ich gegen neun Uhr unten im Speisesaal und las die Zeitung. Ich erzählte Ihnen bereits, dass ich danach in das Zimmer meiner Frau ging und sie nicht da war. Ich lief zum Strand hinunter, entdeckte Monsieur
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