Das Böse unter der Sonne
sehr selten. Zwar konnte man in Leathercombe Boote mieten, aber schon bis zur Insel selbst war es ein gutes Stück zu rudern, und außerdem gab es genau vor dem Hafen eine starke Gegenströmung.
Auch in der Möwenbucht und in der Feenbucht standen Warnschilder neben der Leiter. Mrs Castle fügte hinzu, dass entweder George oder William immer auf den Badestrand aufpassten, der gegenüber dem Festland lag.
«Wer sind George und William?»
«George kümmert sich um die Badebuchten. Er hält die Strände und Boote in Ordnung. William ist der Gärtner. Er pflegt die Tennisplätze, bessert die Wege aus und so weiter.»
«Na, das wäre wohl klar», mischte sich Oberst Weston ein. Er wurde ungeduldig. «Es steht also fest, dass ein Fremder auf die Insel gelangen kann, aber es ist riskant. Er würde vermutlich gesehen. Wir werden uns nachher sofort mit George und William unterhalten.»
«Ich halte nicht viel von Tagesausflüglern», erklärte Mrs Castle. «Sie sind nur laut und lassen Orangenschalen und leere Zigarettenschachteln auf dem Damm und unten bei den Felsen zurück. Trotzdem hätte ich nie gedacht, dass einer von ihnen ein Mörder ist. Mein Gott, was für eine schreckliche Geschichte. Ich finde keine Worte! Eine Dame wie Mrs Marshall wurde ermordet! Und was so schrecklich ist, sie wurde – sie wurde erwürgt…»
Mrs Castle brachte es beinahe nicht über sich, das Wort auszusprechen.
«Ja, eine scheußliche Geschichte», bemerkte Inspektor Colgate in dem Versuch, sie etwas zu beruhigen.
«Und dann die Zeitungen! Mein Hotel kommt in die Zeitungen!»
Colgate grinste schwach und sagte: «Na, in gewisser Weise ist das auch Reklame.»
Mrs Castle straffte sich. Ihr Busen wogte, eine Korsettstange knackte. «Das ist nicht die Art von Publicity, die ich schätze», erklärte sie eisig.
Weston eilte dem Inspektor zu Hilfe. «Also, Mrs Castle, Sie haben die vollständige Gästeliste da, um die ich Sie bat?»
«Ja, Sir.»
Oberst Weston vertiefte sich ins Hotelregister. Dann blickte er Poirot an, der als vierter bei der Gruppe im Direktionsbüro saß. «Sicherlich könnten Sie uns dabei helfen», sagte er. «Was ist mit den Angestellten?»
Mrs Castle reichte ihm ein Blatt Papier, auf dem die Namen notiert waren. «Ich habe vier Zimmermädchen, einen Oberkellner, drei Kellner und den Barmixer Henry. William putzt Schuhe und Stiefel. In der Küche arbeitet ein Koch mit zwei Hilfen.»
«Was sind das für Leute?»
«Nun, Sir, Albert, der Oberkellner, kommt aus dem ‹Vincent› in Plymouth. Dort arbeitete er mehrere Jahre. Die drei Kellner sind schon seit drei Jahren hier, einer sogar schon seit vier. Es sind nette, tüchtige Kerle und über jeden Verdacht erhaben. Henry ist dabei, seit ich das Hotel aufgemacht habe. Er ist so etwas wie eine Institution.»
Weston nickte. «Die Angestellten scheinen in Ordnung zu sein», sagte er zu Colgate. «Sie lassen sie natürlich noch überprüfen. Vielen Dank, Mrs Castle.»
«Ist das alles, was Sie wissen wollen?»
«Im Augenblick, ja.»
Mrs Castle verließ raschelnd das Zimmer.
«Jetzt sollten wir vor allem mit Captain Marshall sprechen», sagte Weston.
Kenneth Marshall saß ruhig da und beantwortete alle Fragen mit anscheinender Gelassenheit. Abgesehen von einem etwas harten Zug um den Mund, wirkte er völlig unberührt. Das helle Sonnenlicht fiel durch das Fenster auf ihn und unterstrich noch den Eindruck, dass er ein gut aussehender Mann war. Er hatte ebenmäßige Züge, klare blaue Augen und einen energischen Mund. Seine Stimme war tief und angenehm.
«Ich verstehe sehr gut, Captain Marshall, was für ein Schock es für Sie gewesen ist. Doch Sie begreifen sicherlich, dass ich so schnell wie möglich genaue Informationen haben muss.»
Marshall nickte. «Das verstehe ich sehr gut. Fragen Sie nur.»
«Mrs Marshall war Ihre zweite Frau?»
«Ja.»
«Und wie lange sind Sie verheiratet?»
«Knapp vier Jahre.»
«Wie hieß sie vor ihrer Heirat?»
«Helen Stuart. Ihr Künstlername Arlena Stuart.»
«Sie war Schauspielerin?»
«Sie spielte in Revuen und Musicals.»
«Nach der Heirat gab sie ihre Bühnenkarriere auf?»
«Nein, sie machte weiter. Erst vor etwa eineinhalb Jahren hörte sie auf.»
«Gab es dafür einen besonderen Grund?»
Kenneth Marshall schien zu überlegen. «Nein», sagte er schließlich. «Sie erklärte, sie habe das Ganze satt.»
«Es war nicht – hm –, weil Sie es wünschten?»
Marshall zog die Augenbrauen hoch. «O nein.»
«Sie
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