Das Bourne-Attentat
er, was Kendall tat. Der dritte Tritt zeigte schließlich Wirkung. Tyrone versuchte das Essen unten zu behalten, doch die unwillkürliche Reaktion setzte ein. Im nächsten Augenblick erbrach er das ganze köstliche Essen, mit dem Kendall ihn gefüttert hatte.
»Der Kurier in München ist der letzte im Netzwerk«, sagte Devra. »Sein Name ist Egon Kirsch, aber mehr weiß ich auch nicht. Ich habe ihn nie gesehen; von den Leuten, die ich kenne, hat ihn auch keiner getroffen. Pjotr hat darauf geachtet, dass dieses Glied in der Kette absolut abgesichert ist. Soweit ich weiß, hatte Kirsch nur mit Pjotr selbst zu tun und mit sonst niemandem.«
»An wen gibt Kirsch seine Informationen weiter?«, fragte Arkadin. »Wer sitzt am anderen Ende des Netzwerks?«
»Ich habe keine Ahnung.«
Er glaubte ihr. »Hatten Heinrich und Kirsch einen bestimmten Treffpunkt?«
Sie schüttelte den Kopf.
Während des Lufthansafluges von Istanbul nach München saß er Schulter an Schulter mit ihr und fragte sich, was er noch von ihr wollte. Sie hatte ihm alle Informationen gegeben, die er von ihr bekommen konnte. Er hatte die Pläne, und er befand sich auf der letzten Etappe seiner Mission. Alles, was er noch zu tun hatte, war, die Pläne an Ikupow zu übergeben, Kirsch zu finden und ihn dazu zu bringen, dass er Arkadin zum Endpunkt des Netzwerks führte. Ein Kinderspiel.
Blieb nur die Frage, was er mit Devra tun sollte. Er hatte bereits den Entschluss gefasst, sie zu töten, so wie er Marlene und so viele andere getötet hatte. Es war beschlossene Sache, etwas, das für ihn schon so gut wie ausgeführt war. Wie er so in dem Flugzeug saß, konnte er schon die Schüsse hören und die Blätter auf ihre Leiche fallen sehen wie eine Decke.
Devra stand von ihrem Platz auf und ging zur Toilette. Arkadin schloss die Augen und war wieder im Ruß und Gestank von Nischni Tagil; er sah Männer mit abgefeilten Zähnen und primitiven Tätowierungen und Frauen, die frühzeitig gealtert waren, und sie alle tranken selbst gebrannten Wodka aus Limonadeflaschen. Und er sah Mädchen mit eingesunkenen Augen, ohne Zukunft. Und dann das Massengrab …
Er riss die Augen auf. Er bekam kaum noch Luft. Mühsam rappelte er sich auf die Beine und folgte Devra hinaus. Sie wartete draußen vor der Toilette. Die Tür ging auf, und eine ältere Frau kam heraus und zwängte sich zuerst an Devra vorbei, dann an Arkadin. Devra trat in die Toilette, schloss die Tür und sperrte ab. Das BESETZT-Zeichen erschien.
Arkadin ging zur Tür und stand einen Moment davor. Dann klopfte er leise.
»Einen Moment«, hörte er ihre Stimme von drinnen.
Er lehnte den Kopf an die Tür und sagte: »Devra, ich bin’s.« Und nach einem kurzen Zögern fügte er hinzu: »Mach die Tür auf.«
Im nächsten Augenblick ging die Tür auf. Sie stand vor ihm.
»Ich möchte reinkommen«, sagte er.
Ihre Augen trafen sich ein paar Herzschläge lang, in denen der eine die Absichten des anderen zu lesen versuchte.
Dann trat sie zu dem kleinen Waschbecken zurück, und Arkadin kam herein. Mit etwas Mühe schloss er die Tür hinter sich und sperrte ab.
Kapitel dreißig
»Es ist auf dem neuesten Stand der Technik«, sagte Gunter Müller. »Garantiert.«
Er und Moira trugen beide Helme, während sie durch die halb automatisierten Werkshallen der Kaller Stahlwerk AG gingen, wo die Kupplung hergestellt wurde, die am LNG- Tanker befestigt wurde, wenn er am NextGen-Terminal in Long Beach anlegte.
Müller, der Leiter dieses Projekts, war Hauptabteilungsleiter bei Kaller, ein eher klein gewachsener Mann, tadellos gekleidet mit einem konservativen dreiteiligen Anzug, teuren Schuhen und einer schwarz-goldenen Krawatte, Münchens Farben seit den Zeiten des Heiligen Römischen Reiches. Seine Haut war hellrosa, sein dichtes braunes Haar an den Schläfen bereits ergraut. Er sprach langsam und deutlich in gutem Englisch, wenngleich er mit den modernen amerikanischen Redewendungen nicht besonders vertraut war, was bei ihm jedoch eher sympathisch wirkte.
Bei jedem Schritt erläuterte er ihr mit sichtlichem Stolz den Produktionsprozess in allen Details. Vor sich ausgebreitet hatten sie die Pläne, auf die Müller immer wieder Bezug nahm.
Moira hörte nur mit einem Ohr zu. Ihre Situation hatte sich völlig geändert, nachdem die Firma aus dem Spiel war und NextGen sich selbst um die Sicherheitsvorkehrungen in Long Beach kümmern musste, nachdem Moira selbst einen neuen Auftrag bekommen hatte.
Ihre Situation
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