Das Bourne-Attentat
dann nicht weg?«
»Weil ich es auch liebe«, antwortete Petra. »Das ist das Rätsel von uns Deutschen. Stolz und gleichzeitig Selbsthass.« Sie zuckte mit den Achseln. »Was soll man machen? Du musst mit dem zurechtkommen, was das Schicksal für dich bereithält.«
Bourne wusste, wie sich das anfühlte. Er blickte sich um. »Sie kennen sich hier unten aus?«
Sie seufzte schwer, so als wäre sie nur noch müde, nachdem sie ihrem Zorn Luft gemacht hatte. »Als Kind nahmen mich meine Eltern jede Woche zur Sonntagsmesse mit. Sie sind gottesfürchtige Leute. Was für ein Witz! Hat sich Gott nicht schon vor langer Zeit von diesem Ort abgewandt?
Egal, jedenfalls war mir an einem dieser Sonntage so langweilig, dass ich mich davonschlich. Damals war ich irgendwie besessen vom Tod. Ist das ein Wunder? Ich bin ja mit dem Gestank des Todes aufgewachsen.« Sie blickte zu ihm auf. »Können Sie das glauben, dass von den Menschen, die ich kenne, keiner je die Gedenkstätte besucht hat? Glauben Sie, meine Eltern hätten es je getan? Meine Brüder, meine Onkel und Tanten, meine Schulkameraden? Bitte! Sie wollen nicht einmal zur Kenntnis nehmen, dass sie existiert.
Jedenfalls ging ich hierher, um mit den Toten zusammen zu sein, aber ich kam ihnen nicht nahe genug, also suchte ich weiter – und was habe ich gefunden? Den Dachauer Bunker.«
Sie legte die Hand an die Wand und strich so zärtlich über den rauen Stein, als wäre es der Körper eines Geliebten. »Das wurde mein Platz, meine eigene Welt. Nur hier unten war ich glücklich, in der Gesellschaft all der Toten von Dachau. Ich konnte sie spüren. Ich glaubte, dass die Seele von jedem Einzelnen hier gefangen wäre. Es erschien mir so ungerecht. Immer wieder habe ich mir den Kopf zerbrochen, wie ich sie befreien könnte.«
»Ich glaube, der einzige Weg, wie Sie das schaffen können, ist, indem Sie sich selbst befreien.«
Sie zeigte in den Tunnel. »Dort vorne hat sich der alte Pelz damals sein Plätzchen eingerichtet«, sagte sie. »Es ist nicht besonders weit. Er war gern in der Nähe der Krypta. Für ihn waren unter den Toten auch seine Freunde. Er setzte sich oft mit ihnen zusammen und redete und trank stundenlang mit ihnen, so als wären sie lebendig. Wer weiß? Vielleicht hat er sie ja wirklich gesehen. Es sind schon merkwürdigere Dinge passiert.«
Es dauerte nicht lange, bis der Tunnel in eine Reihe von Räumen mündete. Der Geruch von Whisky und abgestandenem Schweiß drang zu ihnen heraus.
»Es ist der dritte Raum links«, sagte Petra.
Doch bevor sie hinkamen, erschien eine hoch aufgeschossene Gestalt in der Tür, mit einem Kopf wie eine Bowlingkugel und Haaren, die wie die Stacheln eines Stachelschweins abstanden. Der alte Pelz musterte sie mit seinem irren Blick.
»Wer ist da?«, fragte er mit seiner heiseren Stimme.
»Ich bin’s, Herr Pelz. Petra Eichen.«
Doch der alte Pelz starrte voller Entsetzen auf die Pistole an ihrer Hüfte. »Zum Teufel mit euch Nazi-Sympathisanten!«, rief er, dann riss er eine Schrotflinte hoch und drückte ab.
Kapitel vierunddreißig
Soraya betrat den Glass Slipper nach Kiki und vor Deron. Kiki hatte vorher angerufen, und so kam der Inhaber Drew Davis gleich auf sie zugewatschelt wie Dagobert Duck, kaum dass sie sein Lokal betreten hatten. Er war ein ergrauter alter Mann, dessen Haare in alle Richtungen abstanden, als wären sie schockiert, dass er immer noch lebte. Er hatte ein lebendiges Gesicht mit schelmisch funkelnden Augen, einer Nase wie ein zerkauter Kaugummi und einem breiten Lächeln, das er in seinen Fernsehauftritten und Wahlkämpfen für Lokalpolitiker perfektioniert hatte, aber auch in seinen guten Taten für die ärmeren Teile des Viertels. Doch er strahlte eine Wärme aus, die durchaus echt war. Wenn er jemanden ansah und mit ihm sprach, dann gab er demjenigen das Gefühl, wirklich aufmerksam zuzuhören.
Er umarmte Kiki, während sie ihn auf beide Wangen küss- te und ihn »Papa« nannte. Als sie an einem der besten Tische im Lokal Platz genommen hatten und der Champagner serviert wurde, erläuterte Kiki ihr Verhältnis zu ihm.
»Als ich ein kleines Mädchen war, wurde unser Stamm von einer Dürre heimgesucht, die so extrem war, dass viele der Älteren und der Säuglinge krank wurden und starben. Nach einer gewissen Zeit kam eine kleine Gruppe von Weißen, um uns zu helfen. Sie sagten, sie seien von einer Organisation, die in unserem Dorf ein Hilfsprogramm starten und uns jeden Monat Geld schicken
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