Das Bourne-Attentat
nervenaufreibenden Verfolgungsjagd.
»Wo fahren wir hin?«, fragte Bourne. Er suchte das Gespräch mit ihr, weil er spürte, dass sie erst ein wenig Vertrauen zu ihm fassen musste, bevor sie bereit war, ihm mehr zu erzählen. Er musste sie dazu bringen, dass sie ihm sagte, wer die Ermordung von Egon Kirsch angeordnet hatte. Damit beantwortete sich vielleicht auch die Frage, wer Jens niedergeschossen hatte.
»Nach Hause«, sagte sie. »Ein Ort, zu dem ich eigentlich nie wieder zurückwollte.«
»Und warum?«
»Ich bin in München geboren, weil meine Mutter dorthin gefahren ist, um mich zur Welt zu bringen, aber ich komme aus Dachau. Eltern wollen das eben nicht, dass auf der Geburtsurkunde ihres Kindes Dachau steht, also fahren sie, wenn es so weit ist, in ein Krankenhaus in München.« Das überraschte Bourne nicht. Immerhin waren im Konzentrationslager Dachau über zweihunderttausend Menschen inhaftiert und wahrscheinlich über vierzigtausend Menschen ermordet worden. Es war das erste KZ, nach dessen Muster alle anderen Lager errichtet wurden.
Die Stadt selbst lag an der Amper, etwa fünfzehn Kilometer nordwestlich von München. Es war ein überraschend idyllisches Städtchen mit seinen engen Kopfsteinpflaster-Straßen, den altmodischen Laternen und den stillen, von Bäumen gesäumten Wegen.
Als Bourne meinte, dass die meisten Leute auf der Straße recht zufrieden aussahen, lachte Petra spöttisch. »Sie laufen herum wie in einem Nebel, und sie hassen es, dass ihre kleine Stadt eine so blutige Last zu tragen hat.«
Sie fuhr durch das Zentrum von Dachau, dann wandte sie sich nach Norden, bis sie den Stadtteil Etzenhausen erreichten. Dort lag auf dem Leitenberg, einsam und verlassen, ein Friedhof. Sie stiegen aus dem Wagen und gingen an einer Stele mit dem Davidstern vorbei. Der Stein war mit Flechten überzogen; die hohen Tannen verdeckten den Blick auf den strahlend blauen Winterhimmel.
Sie gingen langsam zwischen den Grabsteinen hindurch. »Das ist der KZ-Friedhof«, erklärte sie. »Die Leichen der Juden wurden in Öfen verbrannt, aber gegen Ende des Krieges ging den Nazis die Kohle aus. Nachdem sie mit den Leichen irgendetwas machen mussten, brachten sie sie hierher.« Sie breitete die Arme weit aus. »Das ist alles, was man den jüdischen Opfern als Gedenkstätte gewidmet hat.«
Bourne war schon auf vielen Friedhöfen gewesen und hatte sie immer seltsam friedlich gefunden. Doch dieser KZ- Friedhof strahlte für ihn etwas Ruheloses aus, so als würde ein stummes Klagen über allem liegen. Er blieb stehen, ging in die Knie und strich mit der Fingerspitze über die Worte, die in einen Grabstein eingraviert waren. Die Inschrift war so verwittert, dass man sie nicht mehr lesen konnte.
»Ist Ihnen gar nicht der Gedanke gekommen, dass der Mann, den Sie heute erschossen haben, vielleicht Jude war?«
Sie wandte sich ihm abrupt zu. »Ich habe Ihnen schon gesagt, dass ich das Geld gebraucht habe. Ich habe es aus einer Zwangslage heraus getan.«
Bourne blickte sich um. »Das haben die Nazis sicher auch gesagt, als sie ihre Opfer hier begruben.«
Ein zorniges Funkeln vertrieb für einen Moment die Traurigkeit in ihren Augen. »Ich hasse Sie.«
»Nicht annähernd so sehr, wie Sie sich selbst hassen.« Er stand auf und gab ihr die Pistole zurück. »Hier, warum erschießen Sie sich nicht und beenden das Ganze?«
Sie nahm die Waffe und richtete sie auf ihn. »Ich könnte auch Sie erschießen.«
»Wenn Sie mich erschießen, macht das Ihre Situation nur noch schlimmer. Außerdem …« Bourne öffnete die Handfläche und zeigte ihr die Patronen, die er aus ihrer Pistole genommen hatte.
Mit einem frustrierten Laut steckte Petra die Waffe ins Halfter. Ihr Gesicht und ihre Hände erschienen grünlich in dem wenigen Licht, das zwischen den Nadelbäumen durchkam.
»Es gibt etwas, was Sie als kleine Wiedergutmachung tun können – für das, was Sie heute getan haben«, sagte Bourne. »Sagen Sie mir, wer Sie angeheuert hat.«
Petra sah ihn skeptisch an. »Ich werde Ihnen das Geld nicht geben, wenn es das ist, worauf Sie hinauswollen.«
»Ihr Geld interessiert mich nicht«, entgegnete Bourne. »Aber ich glaube, dass der Mann, den Sie erschossen haben, mir etwas sagen wollte, das ich wissen muss. Ich habe den Verdacht, dass Sie deshalb angeheuert wurden, um ihn zu töten.«
Ihre Skepsis begann zu schwinden. »Wirklich?«
Bourne nickte.
»Ich wollte ihn nicht töten«, beteuerte sie. »Das verstehen Sie
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