Das Bourne-Attentat
wie ich sie dort drinnen knipsen soll. Das ist nur für geladene Gäste.«
Ein Lächeln breitete sich auf Sorayas Gesicht aus. »Überlassen Sie das mir.«
Es passierte sehr lange gar nichts, nachdem Kendall ihm so brutal in den Bauch getreten hatte, dass er sich übergab. Wenngleich er nicht wirklich sagen konnte, wie viel Zeit vergangen war, denn Tyrone hatte immer mehr das Gefühl, dass die Zeit quälend langsam dahin kroch. Eine Minute schien tausend Sekunden zu haben, eine Stunde zehntausend Minuten, und ein Tag – nun, ein Tag hatte für ihn zu viele Stunden, um sie zählen zu können.
Während einer der Phasen, in der sie ihm die Kapuze abgenommen hatten, ging er in der engen Zelle auf und ab, ohne dem bedrohlichen Becken nahe zu kommen, in dem die Waterboarding-Folter durchgeführt wurde.
Er spürte, dass er sein Zeitgefühl verloren hatte und dass das zu ihrer Strategie gehörte, ihn systematisch fertigzumachen. Immer mehr hatte er das Gefühl, einen schlüpfrigen Abhang hinunterzugleiten, wo es keinen Halt für ihn gab. Er fiel nach und nach in eine Leere, in der nichts mehr war als er selbst.
Auch das war durchaus beabsichtigt. Er stellte sich vor, wie einer von Kendalls Helfern mathematisch berechnete, um wie viel der Gefangene in jeder Stunde des Eingesperrtseins dem Zusammenbruch näher kommen sollte.
Seit er Soraya angeboten hatte, ihr zu helfen, hatte er sich eingehend mit der Frage beschäftigt, wie er sich in den schlimmsten Situationen verhalten würde. Unter den Informationen, die er dazu eingeholt hatte, war er auf einen Trick gestoßen, der ihm jetzt nützlich war – er musste einen Zufluchtsort in seinem Denken finden, an den er sich zurückziehen konnte, wenn es wirklich hart wurde, einen Platz, wo er unverwundbar war, wo er wusste, dass er in Sicherheit war, egal, was man ihm antat.
Er hatte einen solchen Ort gefunden und ihn auch aufgesucht, wenn die Schmerzen vom Knien mit zurückgebundenen Armen auch für ihn zu schlimm wurden. Aber es gab eine Sache, die ihm Angst machte: dieses verdammte Becken auf der anderen Seite der Zelle. Wenn sie mit der Wasserfolter anfingen, dann war er erledigt, das wusste er. So weit er zurückdenken konnte, hatte er Angst vor dem Ertrinken gehabt. Er konnte nicht schwimmen, sich nicht einmal im Wasser treiben lassen. Jedes Mal, wenn er es versucht hatte, schluckte er so fürchterlich Wasser, dass sie ihn herausziehen mussten wie einen Dreijährigen. Irgendwann gab er es auf und dachte sich, dass es ohnehin nicht wichtig war. Wann ging er denn schon segeln oder legte er sich an den Strand? Nie.
Aber jetzt hatte ihn das Wasser eingeholt. Dieses verdammte Becken wartete auf ihn und grinste ihn an wie ein Wal, der ihn zu verschlucken drohte. Aber er war kein Jona, das wusste er. Dieses verdammte Ding würde ihn nicht lebend wieder ausspucken.
Er streckte die Hand aus und sah sie an. Sie zitterte. Er drehte sich zur Wand und drückte die Hand dagegen, so als könnte der Stein sein Zittern in sich aufnehmen.
Er erschrak, als das metallische Geräusch eines Schlüssels im Türschloss durch die kleine Zelle hallte. Herein kam einer der NSA-Zombies mit seinen toten Augen. Er stellte ein Tablett mit Essen auf den Tisch und ging hinaus, ohne Tyrone auch nur anzusehen. Auch das gehört zu ihrer Strategie: Tyrone sollte das Gefühl bekommen, dass er gar nicht existierte.
Er ging zum Tablett hinüber. Wie gewöhnlich hatten sie ihm kalten Haferbrei gebracht. Doch das war ihm egal; er war hungrig. Er nahm den Plastiklöffel und begann zu essen; der Brei war klebrig und hatte überhaupt keinen Geschmack. Beim zweiten Löffel hätte er sich fast verschluckt, als er plötzlich etwas anderes zwischen den Zähnen spürte als Haferbrei. Ihm war bewusst, dass jede seiner Bewegungen beobachtet wurde, als er den Bissen ausspuckte. Dann nahm er die Gabel und öffnete damit ein zusammengefaltetes Stück Papier. Da war etwas darauf geschrieben. Er beugte sich vor, um die Buchstaben lesen zu können.
GIB NICHT AUF, las er.
Zuerst traute Tyrone seinen Augen nicht. Dann las er es noch einmal. Nachdem er es zum dritten Mal gelesen hatte, steckte er das Papier mit einem Löffel voll Haferbrei in den Mund, kaute es gründlich und schluckte es hinunter.
Dann ging er zu der Toilette hinüber, setzte sich auf den Rand und fragte sich, wer ihm diese Nachricht geschickt hatte und wie er darauf antworten konnte. Erst einige Zeit später wurde ihm klar, dass diese kurze Nachricht von
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