Das Bourne-Attentat
von Gefangenen geschrieben, manche von verzweifelten Angehörigen, die etwas von ihren Liebsten hören wollten, außerdem Notizen und Zeichnungen. Alles war auf Deutsch geschrieben; es war nichts in irgendeine andere Sprache übersetzt worden.
Bourne las alles. Man spürte immer noch etwas von der Verzweiflung, von den Gräueltaten und dem Tod in diesen Räumen, als wäre das Grauen für alle Zeit hier eingeschlossen. Hier herrschte eine andere Art von Stille als oben auf dem Leitenberg. Bourne hörte das Schlurfen von Schuhsohlen, das Flüstern der Turnschuhe, während sich die Touristen von einem Ausstellungsstück zum nächsten bewegten. Es war, als würde diese geballte Unmenschlichkeit die Fähigkeit, zu sprechen, unterdrücken, oder vielleicht war es auch nur so, dass Worte hier ohnehin unzureichend und überflüssig gewesen wären.
Sie gingen langsam durch den Raum. Er sah, wie sich Petras Lippen bewegten, als sie einen Brief nach dem anderen las. Kurz vor dem Ende der Wand stach ihm ein Brief ins Auge, der seinen Puls beschleunigte. Ein Blatt, offensichtlich Briefpapier, enthielt einen handgeschriebenen Text, in dem sich der Schreiber darüber beklagte, dass er ein Gas entwickelt hätte, das noch viel wirkungsvoller als Zyklon-B sei, dass es die Verwalter von Dachau aber nicht der Mühe wert gefunden hätten, ihm zu antworten. Möglicherweise lag das daran, dass in Dachau Gas nicht zum Massenmord eingesetzt wurde. Was Bourne aber am meisten interessierte, war das Wappen auf dem Briefpapier: drei Pferdeköpfe mit einem Totenkopf in der Mitte.
Petra trat zu ihm und runzelte die Stirn. »Das kommt mir verdammt bekannt vor.«
Er wandte sich ihr zu. »Wie meinen Sie das?«
»Ich habe da mal jemanden gekannt – den alten Pelz. Er hat gesagt, er lebe in der Stadt, aber ich glaube, er war obdachlos. Er ging oft zum Schlafen in den Dachauer Luftschutzbunker, vor allem im Winter.« Sie strich sich eine Haarlocke hinter das Ohr. »Er hat die ganze Zeit vor sich hin geplappert, Sie wissen schon, wie es Verrückte machen, so als würde er mit jemandem reden. Ich weiß noch, dass er mir einmal ein Abzeichen mit diesem Symbol gezeigt hat. Er hat von einer Schwarzen Legion erzählt.«
Bournes Herz begann zu pochen. »Was hat er gesagt?«
Sie zuckte die Achseln.
»Sie hassen die Nazis so sehr«, sagte er. »Aber haben Sie gewusst, dass manches, was sie ins Leben gerufen haben, immer noch existiert?«
»Ja, sicher, die Skinheads zum Beispiel.«
Er zeigte auf das Wappen. »Die Schwarze Legion gibt es noch, und sie ist immer noch eine Gefahr – sogar eine noch größere Gefahr als zu der Zeit, als der alte Pelz sie kannte.«
Petra schüttelte den Kopf. »Er hat nicht mehr aufgehört zu plappern. Ich wusste nicht, ob er mit mir redete oder mit sich selbst.«
»Können Sie mich zu ihm bringen?«
»Sicher, aber wer weiß, ob er überhaupt noch lebt? Er hat gesoffen wie ein Loch.«
Zehn Minuten später fuhr Petra die Augsburger Straße entlang, auf einen Hügel namens Karlsberg zu. »Das hat schon eine verdammte Ironie«, sagte sie in bitterem Ton, »dass der Ort, den ich am meisten verabscheue, heute der sicherste Platz für mich ist.«
Sie bog in den Parkplatz vor der Pfarrkirche St. Jakob ein. Ihren achteckigen Barockturm sah man von überall in der Stadt. Nebenan befand sich das ehemalige Kaufhaus Hörhammer. »Sehen Sie hier, neben dem Hörhammer-Haus«, sagte sie, als sie aus dem Auto stiegen, »diese Stufen hier führen in den riesigen Luftschutzbunker hinunter, der in den Berg gegraben wurde, aber man kommt hier nicht hinein.«
Sie führte ihn die Stufen hinauf und in die Kirche hinein. Neben der Sakristei befand sich eine unauffällige dunkle Holztür, hinter der eine gewundene Steintreppe in die Krypta hinunterführte, die überraschend klein war, wenn man bedachte, wie groß die Kirche darüber war.
Doch wie Petra ihm gleich zeigte, hatte die geringe Größe ihren Grund: dahinter lag ein Labyrinth von Räumen und Gängen.
»Der Bunker«, sagte sie und schaltete eine Reihe von Glühbirnen ein, die an der Steinwand zur Rechten angebracht waren. »Hierher flüchteten sich meine Großeltern, wenn Ihr Land wieder einmal einen Bombenhagel über der inoffiziellen Hauptstadt des Dritten Reichs niedergehen ließ.« Sie sprach von München, aber Dachau war nahe genug, um die amerikanischen Luftangriffe ebenfalls noch zu spüren zu bekommen.
»Wenn Sie Ihr Land so sehr hassen«, sagte Bourne, »warum gehen Sie
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