Das Bourne-Attentat
würde. Sie brachten uns Wasser, aber es war natürlich nicht genug.
Als sie wieder gingen, glaubten wir, nie wieder etwas von ihnen zu hören, und fielen erneut in Verzweiflung, aber es kam tatsächlich Wasser, so wie sie es versprochen hatten, dann kam auch der Regen, und wir brauchten ihr Wasser nicht mehr, aber sie blieben trotzdem. Ihr Geld wurde in Medikamente und eine Ausbildung für die Kinder investiert. Jeden Monat bekamen wir Kinder Briefe von unserem Gönner – dem Menschen, der das Geld schickte.
Als ich alt genug war, begann ich an Drew zurückzuschreiben, und es wurde ein richtiger Briefwechsel daraus. Jahre später, als ich auf eine höhere Schule wollte, machte er’s möglich, dass ich nach Kapstadt gehen konnte, und danach ließ er mich sogar in die Staaten kommen, und so konnte ich hier das College und die Universität besuchen. Er hat nie etwas dafür verlangt, außer dass ich mich anstrenge und ordentlich lerne. Er ist wie ein zweiter Vater für mich.«
Sie tranken Champagner, und der Poll-Dance wirkte zu Sorayas Überraschung kunstvoller und gar nicht so plump, wie sie es sich vorgestellt hatte. Dennoch sah sie in diesem Raum mehr chirurgisch veränderte Körperteile als in ihrem ganzen bisherigen Leben. Sie konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, warum eine Frau Brüste haben wollte, die aussahen wie Luftballons.
Sie nippte nur an ihrem Champagner; allzu gern hätte sie Kikis Rat befolgt und ihre Probleme für ein paar Stunden vergessen. Das Dumme war nur, dass es einfach nicht ihre Art war, sich gehen zu lassen, dafür war sie einfach zu beherrscht, zu nüchtern. Wem hilft es, wenn ich hier Trübsal blase, dachte sie mürrisch, während sie einer Rothaarigen mit prallen Brüsten zusah, die den Gesetzen der Schwerkraft zu trotzen schienen. Ich sollte mich betrinken und selber auf der Bühne tanzen. Dann lachte sie über die Absurdität ihres Gedankens. Solche Dinge hätten noch nie zu ihr gepasst, auch nicht in jüngeren Jahren; sie war immer das brave, vernünftige Mädchen, das alles mit klarem Verstand betrachtete und analysierte. Sie blickte zu Kiki hinüber, deren wunderschönes Gesicht von einer unerschütterlichen Freude erhellt schien. Konnte es sein, dass das Leben des braven Mädchens ein bisschen farblos und blass war?, fragte sich Soraya.
Der Gedanke deprimierte sie noch mehr, doch das war erst der Anfang, denn im nächsten Augenblick sah sie Rob Batt. Was zum Teufel macht der hier?, dachte sie. Offenbar hatte er sie gesehen, denn er kam schnurstracks auf sie zu.
Soraya entschuldigte sich, stand auf und ging in die andere Richtung, zur Damentoilette. Irgendwie gelang es Batt, den Weg abzukürzen, so dass er vor ihr zu den Toiletten gelangte. Sie drehte sich um und schlängelte sich zwischen den Tischen hindurch. Batt lief hinter ihr her und holte sie ein.
»Soraya, ich muss mit Ihnen reden.«
Sie schüttelte ihn ab und ging weiter, zur Eingangstür und hinaus in die Nacht. Auf dem Parkplatz hörte sie, dass er ihr folgte. Ein leichter Eisregen fiel, doch der Wind hatte aufgehört, und die Eistropfen fielen schnurgerade herab und schmolzen auf ihren Schultern und ihrem Haar.
Sie wusste nicht, warum sie hier herausgekommen war; Kiki hatte sie von Derons Haus hergefahren, und so hatte sie gar kein Auto hier, in das sie einsteigen konnte. Vielleicht war sie ganz einfach angewidert vom Anblick des Mannes, den sie einmal gemocht und dem sie vertraut hatte. Doch er hatte dieses Vertrauen missbraucht und war zur »dunklen Seite« übergewechselt, wie sie für sich LaValles NSA nannte, weil sie die Worte National Security Agency einfach nicht mehr aussprechen konnte, ohne dass ihr kotzübel wurde. Die NSA stand für sie für all das, was in den vergangenen Jahren in Amerika schiefgelaufen war – für Machtmissbrauch, für die Überzeugung einiger Leute in Washington, dass sie sich alles erlauben konnten, egal, ob es mit den Spielregeln der Demokratie vereinbar war oder nicht. Die Haltung dieser Leute war von einer tiefen Verachtung geprägt. Sie waren so überzeugt davon, im Recht zu sein, dass sie nichts als Verachtung, vielleicht sogar Mitleid für jene empfanden, die sich ihnen entgegenstellen wollten.
»Soraya, warten Sie! Bleiben Sie stehen!«
Batt hatte sie eingeholt.
»Hauen Sie ab«, sagte sie und ging weiter.
»Aber ich muss mit Ihnen reden.«
»Das glaube ich nicht. Wir haben nichts zu reden.«
»Es geht um eine Sache der nationalen Sicherheit.«
Soraya
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