Das Bourne Duell
geboren.«
DREIUNDZWANZIG
Jalal Essai war ein Gejagter, das wusste er genau. Während er auf einem Stuhl in seinem verdunkelten Schlafzimmer saß, dachte er wieder einmal über seine Situation nach. Der Bruch mit Severus Domna war keine leichte Entscheidung gewesen – beziehungsweise nicht die Entscheidung war ihm schwergefallen, sondern ihre Umsetzung. Aber schließlich war es immer schwer, sich ganz bewusst in Gefahr zu begeben, dachte Essai. Er hatte den Schritt erst unternommen, als er alles genau geplant hatte. Zuvor hatte er eine Möglichkeit nach der anderen verworfen, bis er eine Vorgehensweise fand, deren Risiken vertretbar und deren Erfolgsaussichten gut waren. Er ging an alle seine Entscheidungen so systematisch heran, was nebenbei auch sehr beruhigend war, so wie ein Gebet zu Allah oder das Meditieren über ein Zen-Koan. Der leere Geist füllt sich mit Möglichkeiten, die anderen nicht zugänglich sind.
So saß er ganz still in der Dunkelheit seines Schlafzimmers, in dem die Jalousien heruntergelassen waren, um ihn gegen das Licht der Straßenlaternen oder eines vorbeifahrenden Autos abzuschotten. Die Nacht mit ihrer Stille und ihren Bedrohungen. Die Nacht war für ihn das, was für andere eine Tasse Espresso war – sie
gab ihm die Möglichkeit der ruhigen Reflexion. Er fand immer einen Weg aus den dunklen Gedanken und den gelegentlichen Albträumen, weil Allah ihn mit dem Licht des wahren Gläubigen gesegnet hatte.
Es war drei Uhr nachts. Er wusste, was kommen würde, deshalb hatte er beschlossen, nicht wegzulaufen. Wer wegläuft und sein eigenes Territorium verlässt, wird zur leicht zu treffenden Zielscheibe. Er stolpert – und stirbt. Essai hatte nicht vor zu stolpern. Nein, er war auf das Unvermeidliche vorbereitet, und er hatte vor, hierzubleiben, bis der Feind sein Gesicht zeigte.
Er hörte zuerst das Geräusch. Ein leises Kratzen – wie von Mäusen –, das von der Tür her kam. Es war nur ein ganz kurzes Geräusch, aber er wusste, dass der Feind das Türschloss geknackt haben musste, denn es war jemand in der Wohnung. Trotzdem bewegte er sich nicht. Das war auch nicht nötig. Er blickte zum Bett hinüber, wo ein Bündel unter der Decke für den Feind wie ein Schlafender aussah.
Die Dunkelheit veränderte sich ganz leicht, sie verdichtete sich vom Puls eines anderen menschlichen Wesens. Essais Aufmerksamkeit konzentrierte sich auf den Bereich des Bettes, über das sich der Feind gerade beugte.
Essai spürte die Bewegung als leisen Lufthauch, als sein Feind einen Dolch herauszog und ihn in die schlafende Gestalt auf dem Bett bohrte. Die Plastikhülle platzte auf, und der Möchtegern-Killer wurde über und über mit Batteriesäure bespritzt, die Essai in das aufblasbare Sexspielzeug gefüllt hatte.
Sein Feind reagierte auf vorhersehbare Weise – er stürzte rücklings zu Boden und versuchte vergeblich,
sich die Säure von Gesicht, Hals und Brust zu wischen. Dabei verschmierte er die ätzende Substanz nur noch mehr auf seiner Haut. Er keuchte, doch die Säure fraß sich in seine Lippen und seine Zunge, sodass er kein Wort mehr herausbrachte, nicht einmal einen Schrei. Ein Albtraum für ihn, dachte Essai, als er schließlich von seinem Stuhl aufstand.
Mit dem Lächeln des Gerechten in Allahs gütigen Augen kniete er sich zu seinem Feind – dem Mann, den Severus Domna geschickt hatte, um ihn für seinen Treuebruch zu töten. Er hob den Zeigefinger an die Lippen und flüsterte: »Scht«, so leise, dass nur er und sein Feind es hören konnten.
Dann nahm er den Dolch des Killers und schlich hinaus auf den Flur. Den Rücken gegen die Wand gedrückt, wartete er und leerte seinen Kopf von allen Erwartungen. In der göttlichen Leere erschien vor ihm der wahrscheinlichste Weg, den der zweite Mann einschlagen würde. Er wusste, dass es einen zweiten Mann gab, genauso wie er wusste, dass der Killer keine Pistole einsetzen würde, um ihn zu töten. Er kannte die Operationsmethoden von Severus Domna genau – ja, er hatte sie auf der Jagd nach Jason Bourne und dem Ring selbst angewandt.
Ein Schatten, der quer über den Flur fiel, bestätigte seine Erwartung. Jetzt wusste er, wo der zweite Killer war – oder vielmehr gewesen war, denn er bewegte sich. Sein Partner hatte genug Zeit gehabt, um die Aufgabe zu erfüllen, und jetzt sah er nach, ob etwas nicht in Ordnung war.
Der Verdacht des Mannes bestätigte sich auf dramatische Weise, als sich ein Dolch zwischen seine Rippen und mitten ins
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