Das Bourne Duell
Atemzügen und spürte das Blut in seinem Bein pulsieren, als hätte es ein zweites Herz entwickelt – aber eines, das nicht dem Erhalt des Lebens diente, sondern in dem der Tod lauerte.
Marks hatte das beklemmende Gefühl, dass sein Leben ebenso vorzeitig enden könnte wie das seiner Schwester. In diesem Augenblick fühlte er sich ihr ganz nah, als hätte er sie im letzten Moment aus dem abstürzenden Flugzeug geholt, als würde er sie sicher in den Armen halten, während er mit ihr durch die Wolken flog. Dieses plötzliche Bewusstsein der Zerbrechlichkeit des eigenen Lebens war zwar beängstigend – aber noch viel mehr veränderte es seinen Blick auf die Dinge. Wie er so dalag, hilflos und blutend, beobachtete er eine Ameise, die sich mit einem kurz zuvor heruntergefallenen Blatt abmühte, einem frischen grünen Blatt, das eben noch voller Leben war. Das Blatt war eigentlich zu groß für die Ameise, doch sie zog unermüdlich daran und schleppte es über Kieselsteine und Wurzeln, all die riesigen Hindernisse in ihrer Ameisenwelt. Marks liebte diese Ameise. Sie gab nicht auf, mochte das Leben im Moment auch noch so schwer sein. Sie ließ sich durch nichts entmutigen. Und das beschloss auch Marks zu tun. Er wollte sich den Dingen widmen, die ihm wirklich wichtig waren, für die Menschen da sein, die ihm etwas bedeuteten – Soraya zum Beispiel –, und dieser Wunsch war so stark, wie er es sich nie hätte vorstellen können, bevor er angeschossen wurde.
So lag er eine ganze Weile und lauschte dem Rauschen der Bäume im Wind. Plötzlich hörte er Chrissie rufen.
»Ich bin’s, Peter Marks«, antwortete er sofort. »Ich bin verletzt. Moreno ist tot, und Adam versucht den Schützen zu finden.«
»Ich komm raus und hole Sie.«
»Nein, bleiben Sie drin«, rief er zurück. Er schleppte
sich ein Stück nach vorne und lehnte sich erschöpft an den Wagen. »Hier draußen ist es nicht sicher.«
Doch im nächsten Augenblick war sie bei ihm, im Schutz des von mehreren Kugeln durchlöcherten Autos.
»Das war dumm von Ihnen«, sagte er.
»Keine Ursache«, entgegnete sie mit der gleichen Ironie wie Bourne zuvor.
Es gefiel ihm gar nicht, wie sie mit ihm redeten – aber ihm war bewusst, dass er sich das selbst zuzuschreiben hatte, wie so vieles andere in seinem Leben. Ja, im Grunde gab es ohnehin kaum etwas, mit dem er richtig zufrieden gewesen wäre. Einen Moment lang fragte er sich, wie es so weit hatte kommen können. Es gab keinen Menschen, den er liebte und der ihn liebte, jedenfalls nicht im Moment. Seine Eltern hatten ihn vermutlich geliebt, auf ihre etwas grobe, bestimmende Art, und seine Schwester, sie ganz bestimmt. Aber wer sonst? Seine Ehe war in die Brüche gegangen, als seine Frau genug hatte von seinen langen Arbeitstagen und seiner Achtlosigkeit. Und Freunde? Nun, ein paar gab es. Aber meistens war es so, dass entweder er sie benutzte oder sie ihn, so wie es ihm gerade mit Soraya passiert war. Er hatte diese Art zu leben auf einmal so satt, dass es ihn richtig ekelte.
»Sie haben einen Schock«, sagte Chrissie, die ihn besser verstand, als er es sich vorstellen konnte. »Sie müssen schnell ins Haus und sich aufwärmen.«
Sie half ihm auf, sodass er auf seinem gesunden Bein stehen konnte. Er legte einen Arm um sie, sie stützte ihn, und so gingen sie zum Haus. Er bewegte sich zittrig und wäre beinahe mit ihr gestürzt, als er über eine Wurzel stolperte.
Herrgott, mein Selbstmitleid ist unerträglich , dachte er angewidert.
Da kam ihr Vater aus dem Haus geeilt und half Chrissie mit ihrer Last.
Bourne wäre fast über die Frau gestolpert. Sie war zur Hälfte von Laub bedeckt. Ihr Gesicht war von ihm abgewandt, die Augen geschlossen. Ihr langes Haar war voller Blut, aber so wie sie lag, hätte man nicht sagen können, ob sie lebte oder tot war. Vielleicht eine Frau, die hier in der Gegend wohnte und das Pech hatte, auf ihrem Spaziergang dem Scharfschützen über den Weg zu laufen. Unter den Blättern guckte ein rot-schwarz kariertes Flanellhemd hervor, außerdem Jeans und Wanderschuhe. Es sah aus, als wäre sie hastig mit Blättern zugedeckt worden.
Er musste zu Peter Marks und den Leuten im Haus zurück, aber er konnte nicht einfach weggehen, ohne zumindest festzustellen, ob die Frau noch lebte, und wenn ja, wie schwer sie verletzt war. Er kniete sich zu ihr und streckte die Hand aus, um ihren Puls an der Halsschlagader zu fühlen.
Sie schlug die Augen auf und riss eine Hand hoch, in der
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