Das Bourne Duell
Straße auf den groß gewachsenen Mann in dem schwarz-braunen Gewand zu. Sie wusste, es kam jetzt darauf an, ruhig zu bleiben und einen kühlen Kopf zu bewahren. Arkadin hatte sie ein Mal überrumpelt – das durfte ihr kein zweites Mal passieren. Auf der Fahrt nach Tineghir
hatte es einige Momente gegeben, in denen sie ihre Fluchtmöglichkeiten eingeschätzt hatte, doch aus zwei Gründen hatte sie nichts unternommen. Der erste Grund war, dass sie nicht wirklich daran glaubte, dass sie Arkadin entwischen konnte. Der zweite und wichtigere Grund war, dass sie sich geschworen hatte, Jason nicht im Stich zu lassen. Er hatte ihr mehr als einmal das Leben gerettet. Auch wenn in der CI noch so viele niederträchtige Geschichten über ihn kursierten – sie wusste, dass sie jederzeit auf ihn zählen konnte. Jetzt, wo sein Leben in Gefahr war, würde sie nicht einfach weglaufen. Nein, sie musste etwas tun, damit Arkadin sich erst einmal einem anderen Ziel zuwandte.
Sie ging auf den Mann zu und sprach ihn in ägyptischem Arabisch an. Zuerst ignorierte er sie. Vielleicht hatte er sie bei dem Lärm auf der Straße auch gar nicht gehört oder gedacht, dass sie mit jemand anderem sprach. Sie trat direkt vor ihn hin und sprach ihn noch einmal an. Er hielt den Kopf leicht gesenkt und reagierte nicht.
»Ich brauche Hilfe. Verstehen Sie Englisch?«, fragte sie.
Als er den Kopf schüttelte, zuckte sie mit den Schultern, drehte sich um und ging weiter. Dann wirbelte sie herum und sagte auf Russisch: »Sie sind doch Wjatscheslaw Germanowitsch, nicht?« Er hob abrupt den Kopf. »Sind Sie nicht ein Kollege von Leonid?«
»Sind Sie mit Arkadin befreundet?« Seine Stimme klang belegt, so als hätte er etwas in der Kehle, das er noch nicht ganz geschluckt hatte. »Wo ist er?«
»Er ist hier.« Sie zeigte auf den Wagen. »Er sitzt dort in dem Auto.«
Alles geschah blitzschnell. Soraya wich zurück, und Oserow duckte sich und zog ein AK-47 unter seinem Gewand hervor. In einer fließenden Bewegung hob er das Gewehr, zielte und feuerte auf das Auto. Leute schrien und rannten in alle Richtungen. Oserow feuerte immer weiter, während er über die Straße ging, auf das Auto zu, das von dem wilden Kugelhagel durchgeschüttelt wurde.
Als er beim Wagen war, blieb er stehen. Er versuchte die Fahrertür zu öffnen, doch sie war so verzogen, dass sie nicht aufging. Fluchend drehte er das Gewehr um und schlug das Fenster mit dem Kolben ein. Er blickte hinein. Das Auto war leer.
Er wirbelte herum und richtete das AK-47 auf Soraya. »Wo ist er? Wo ist Arkadin?«
Soraya sah Arkadin hinter dem Wagen hervorkommen; mit einem Satz war er bei Oserow, schlang blitzschnell den Arm um seinen Hals und riss ihn hoch. Oserow versuchte seinem Feind den Gewehrkolben in die Rippen zu rammen, doch Arkadin wich dem Angriff aus. Oserow wippte mit dem Kopf vor und zurück, um zu verhindern, dass Arkadin ihn in den Würgegriff bekam. Dabei begann seine Maske zu verrutschen; Arkadin merkte es und riss sie herunter, sodass das hässlich entstellte Gesicht zutage trat.
Soraya überquerte die nun menschenleere Straße und ging mit langsamen entschlossenen Schritten auf die beiden Kämpfenden zu. Oserow ließ das AK-47 fallen und zog einen langen Dolch hervor. Soraya erkannte, dass Arkadin die Waffe nicht sah und nicht ahnen konnte, dass Oserow sie ihm in die Seite stoßen wollte.
Mitten in seinem Kampf auf Leben und Tod mit seinem verhassten Feind schlug Arkadin ein Gestank wie aus einer Kloake entgegen, der, wie ihm bewusst wurde, von Oserow kam, so als würde er innerlich verrotten. Arkadin zog ihn enger an sich, während Oserow sich verzweifelt wehrte und aus dem Schraubstock zu befreien versuchte, in dem er gefangen war. Doch es gab kein Loslassen, kein Nachgeben in diesem Kampf zweier Menschen, die durch ihren blinden Hass aneinander gebunden waren. Für Arkadin ging es nicht nur um Oserow und die Verbrechen, die dieser Mann begangen hatte, sondern auch um seine eigene unmenschliche Vergangenheit, die er jeden Tag aufs Neue tief in seinem Inneren vergraben musste.
Und doch stieg sie wie ein Zombie immer wieder aus ihrem Grab.
»Das ist dein Leben« , hatte Soraya zu ihm gesagt, »der Kampf, ein Mensch zu sein und kein Tier.«
Die Gestalten aus seiner Vergangenheit hatten es darauf abgesehen, ihn zu zerbrechen, ihn zu einem Tier zu machen. Seine einzige Chance, mehr zu sein als ein Tier, war in Gestalt von Tracy Atherton in sein Leben getreten. Tracy hatte
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